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Wissbegierige ? sagt am 16.01.2006 18:55 zu B=92 ?:Erster Beitrag

Re: Milosevic


Die erste Runde im Prozeß gegen Slobodan Milosevic hat bisher 16 Monate und über 200 Gerichtstage in Anspruch genommen – ein historischer Rekord. Dennoch sah die Anklage sich genötigt, eine Verlängerung bis Februar 2004 zu verlangen. Sie erhielt 100 zusätzliche Gerichtstage ab dem 16. Mai 2003.
Abseits der Stärken und Schwächen einzelner Belastungszeugen hat die Anklageschrift selbst einen gravierenden Konstruktionsfehler: Milosevic ist nämlich nicht wegen Völkermordes im Kosovo angeklagt, »obwohl das der wesentliche Grund für den NATO-Luftkrieg war« (Frankfurter Allgemeine). Als Chefanklägerin Carla del Ponte von »Le Monde« gefragt wurde, warum dieser Anklagepunkt fehle, mußte sie zugeben: »Weil es keine Beweise dafür gibt.« Ersatzweise wird Milosevic der Tod von »Hunderten kosovoalbanischer Zivilisten« vorgeworfen, die Anklage listet 577 namentlich auf, zumeist Männer im wehrfähigen Alter. Notabene: Vorher hatten nicht nur selbsternannte Experten, sondern auch die Haager Ankläger den serbischen und jugoslawischen Sicherheitskräften die Ermordung von über 10000 Kosovo- Albanern attestiert – Frau del Ponte hatte die Zahl sogar akribisch genau auf 11334 Tote beziffert.
Wie aber will man Milosevic – und nicht marodierenden Soldaten oder Freischärlern – den Tod auch nur dieser 577 anlasten, wenn kein von ihm unterzeichneter oder zumindest nachweislich abgesegneter Mord- und Vertreibungsplan auftaucht? Im Sommer letzten Jahres glaubte die Anklage, die Beweisnot an diesem Punkt überwunden zu haben: Milosevics ehemaliger Staatssicherheitschef Radomir Markovic hatte in einem Belgrader Gefängnis Milosevic als Auftraggeber einer geplanten Albanervertreibung bezichtigt. Daraufhin wurde er am 26. Juli nach Den Haag vorgeladen – und zog seine früheren Aussagen zurück. Mehr noch: Er beschuldigte die Belgrader Vernehmungsbehörden, ihn zu diesen Falschaussagen gepreßt zu haben. Auszüge aus dem Kreuzverhör des Zeugen:
»Milosevic: Ist es richtig, daß sie dir ... angeboten haben, daß du nur sechs Monate Gefängnis bekommst, wenn du bereit bist, mich fälschlich zu belasten? (...) Markovic: Sie sprachen über meine schwere Lage und machten mich auf alle möglichen weiteren Konsequenzen aufmerksam. Dann boten sie mir als Alternative an, Milosevic als Auftraggeber der Verbrechen zu beschuldigen, dadurch werde meine Verantwortung getilgt. Milosevic: Ist es weiterhin richtig, daß sie dir auch eine neue Identität, die Ausreise in ein anderes Land und lebenslange finanzielle Unterstützung für dich und deine Familie angeboten haben, wenn du mich fälschlich beschuldigst? (...) Markovic: Ja, das ist richtig.«

Das halte ich wirklich für brisante Infos. Wo kann man das nachlesen? Willst du uns die Quelle bekannt geben? In der Tat sind wir hier ein sehr einfaches schwarz-weiss Bild vermittelt. Alle heimischen Medien ziehen hier scheinbar an einem Strang. Die Guten sind die, für die wir den Weg in die EU ebenen. Die Serben würgen wir, bis sie uns willig sind.
Keinesfalls will ich hier Milosevic automatisch freisprechen. Als führender Politiker in den 80ern hat er sicher (durch seine Unfähigkeit) am Untergang Jugoslawiens entscheidenden Anteil gehabt.

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