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Arisierung Sanatorium Purkersdorf


Löchrige Geschichte

von Stefan Peters

Bis vor wenigen Jahren hat der Geschichte-Unterricht an österreichischen Schulen etwa so ausgesehen: Fakten, Daten, Hintergründe bis 1938 und ab 1945. Dazwischen war ein Loch, tief genug, um alle Fragen, die in seine Nähe kamen, unbeantwortet darin verschwinden zu lassen. Aber ganz genau hat sich sowieso keiner fragen getraut. Heute ist das Loch sehr viel kleiner, eine sanfte Mulde vielleicht, Restmülldeponie der Geschichte. Jetzt wird zwar mehr gefragt, die Antworten, die zurückkommen, sind aber oft undeutlich und hören sich an wie "Schwere Zeit, nichts gewusst, halb so schlimm...".

Das gilt natürlich auch für Purkersdorf. Dort steht ein ehemaliges Sanatorium, Leitfossil des Jugendstils. 1904/1905 gebaut vom bekannten Architekten und Gestalter Josef Hoffmann, war es bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 ein Treffpunkt der internationalen Hautevolée. In der Kuranstalt des Victor Zuckerkandl, eines jüdisch-deutschen Industriellen, gaben sich Geldadel und Intelligenz der Zeit die Klinke in die Hand. Mahler, Hoffmannsthal, Schönberg und Schnitzler waren hier ebenso zu Gast wie Maharadschas und Dollarmillionäre. Nach dem Tod Zuckerkandls 1927 übernahmen drei Nichten und ein Neffe das Haus.

Den Betrieb führte ab 1930 der Schwiegersohn eines Bruders von Victor Zuckerkandl, Paul Stiassny, weiter, war dabei aber kaufmännisch mäßig erfolgreich. Erst relativ kurz vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 versuchte eine Schwiegertochter eines anderen Zuckerkandl-Bruders, Trude Zuckerkandl, den maroden Betrieb zu sanieren. Der finanziellen Gesundung kam der Einmarsch der deutschen Truppen zuvor. Einige Tage nach dem Anschluss wurde das Sanatorium von den neuen Machthabern unter kommissarische Verwaltung gestellt.

Miteigentümerin Amalie Redlich und ihre Tochter, die auf dem Gelände wohnten, wurden in eine Waschküche verbannt, ihre Wohnungseinrichtung geplündert. Ende 1939 verschwanden die beiden im KZ. Die Schwester Redlichs, Nora Stiassny, auch sie Miteigentümerin des Kurhauses, musste unter dem Applaus der Nachbarn mit ihrer Mutter gemeinsam den Gehsteig mit der Zahnbürste reinigen, während aus ihrem Haus Arbeiten von Kolo Moser und Josef Hoffmann gestohlen wurden. Später kamen auch diese beiden Frauen in der Nazi-Vernichtungsmaschinerie um. Eigentümerin Nummer Drei, Hermine Müller-Hofmann und Schwester der beiden Anderen, überlebte, weil sie gegen Geld eine Bescheinigung erhielt, derzufolge sie keine Jüdin war, sondern ein "Mischling". Nach der Aufgabe ihrer Ansprüche auf das Sanatorium flüchtete sie unter falschem Namen nach Deutschland. Der vierte Eigentümer, ihr Cousin Fritz Zuckerkandl, Sohn der berühmten Journalistin Berta Zuckerkandl, war bereits 1934 nach Paris gezogen und hatte einen weitschichtigen Verwandten, Hans Stephenson, mit einer Generalvollmacht für alle Geschäfte ausgestattet, die das Sanatorium betrafen. Fritz Zuckerkandl überlebte die NS-Herrschaft im algerischen Exil.

Am 20. März 1938 wird also die Anstalt unter die kommissarische Verwaltung des ehemaligen Beamten Rudolf Bauer gestellt. Bauer beabsichtigt, nachdem er als ersten Schritt alle jüdischen Ärzte entlässt, sich das Sanatorium selbst anzueignen. Im Dezember des selben Jahres scheitert ein Versuch zweier Anstaltsärzte, das Haus gemeinsam mit einem SS-Mann zu erwerben. Erst ein Jahr nach dem Anschluss, im März 1939, wird die Vermögensverkehrsstelle ins Leben gerufen, ein Amt, das der Veräußerung jüdischen Eigentums den Deckmantel der Legalität verleihen soll.

Nach der Abberufung Bauers als Verwalter wird der Sanatoriums-Primararzt und Parteigenosse Franz Neuhauser als Treuhänder eingesetzt. Neuhauser unterzeichnet am 25. August 1939 im Namen der vier Eigentümer einen Kaufvertrag mit der Österreichischen Kontrollbank, die als staatliche Zwischenstation für die Arisierung dient. Schätzgutachten haben, wie bei Arisierungen üblich, bewirkt, dass der Punkt 4 des Kaufvertrags lautet: "Im Hinblick auf die Verschuldung der Kaufgegenstände erhalten die Verkäufer keinen Kaufpreis".

Am selben Tag kauft ein Schilderfabrikant aus dem 7. Wiener Gemeindebezirk, Hans Gnad, der Kontrollbank das Objekt um nur 3.770.- Reichsmark ab. Gnad, der bereits in der Verbotszeit ab 1932 nationalsozialistisch aktiv war, will das Purkersdorfer Sanatorium seinem gleichnamigen Sohn, auch ein aktiver Parteigenosse und Medizinstudent, nach dessen Promotion übergeben.

Obwohl die beiden Gnads stramme Parteigänger waren, bot ihre Anstalt doch einigen politisch "Unzuverlässigen" und sogar jüdischen Patienten Unterschlupf und Schutz vor Verfolgung. Dafür setzte sich der zeitweilige Chefarzt Kurt Braun ein, der selbst kein Sympathisant des Regimes war.

Nach dem Krieg versuchten die überlebenden Eigentümer Fritz Zuckerkandl und Hermine Müller-Hofmann für ihre Familie zu retten, was noch zu retten war. Viel war nicht geblieben. Das Gebäude war ab 1941 als Kriegslazarett verwendet worden, die Einrichtung zerstört oder geplündert. Der Sohn von Fritz, Emile, bekam wenige Bilder aus der umfangreichen Kunstsammlung seiner Familie zurück erstattet. Eines davon, Gustav Klimts "Die Mohnwiese", ging am 20. Jänner 1957 um 30.000.- Schilling an den Sammler Rudolf Leopold. Heute hängt das Werk in der Sammlung Leopold im Wiener Museumsquartier.

Am 12.9.1947 wird im Grundbuch von Purkersdorf die Bestellung eines öffentlichen Verwalters für das Sanatorium angemerkt, am 18.2. 1948 wird das Rückstellungsverfahren eingeleitet. Das Verfahren endet im Juli 1952 mit einem Vergleich. Nachdem am 18. Oktober des Jahres knapp die Hälfte der Liegenschaft an Gnads Frau Irma überschrieben worden war, erhielten Zuckerkandl, Müller-Hofmann und Georg Jorisch vier Tage später das Sanatorium zu je einem Drittel zurück. Vier Monate danach, im Februar 1953, kaufte es der Evangelische Verein für innere Mission und betrieb die Anstalt bis 1984 als Krankenhaus und Pflegeheim.

Nach den Aussagen der Familie Zuckerkandl haben sich auch Purkersdorfer an der Plünderung der wertvollen Inneneinrichtung eifrig beteiligt. Heute ist die Anstalt nach einer Außenrenovierung ein Schmuckstück. Das Innere zeugte bis vor Kurzem von Verfall, war morbide Kulisse für Kulturfeste und Paulus Mankers Multitheater "Alma - A Showbiz ans Ende".

Über eine Nutzung durch die Stadtgemeinde und Museen wurde jahrelang nachgedacht. Mit dem Endergebnis eines weiteren Verkaufs und der Umwandlung des Baus in ein Seniorenheim. Das Anwesen selbst ist, nach einer Filettierung des Sanatoriums und des umliegenden Parks, viel Geld wert. Geld, das den ursprünglichen Eigentümern geraubt wurde. Der lange Atem der Vergangenheit weht immer noch durch den Hoffmann-Bau. Und die Mär vom rechtmäßigen Verkauf, die gerne erzählt wird, entpuppt sich nach einem Blick in die Annalen als Geschichtslüge einer Gemeinde, in deren Archiv die Jahre von 1938 bis 1945 einfach fehlen. Keine sanfte Mulde, sondern ein tiefes Loch.


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Letzte Änderung: 2004-03-09 - Stichwort - Sitemap