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Regedit ? sagt am 21.07.2008 08:48 zu Gunnar ®:Erster Beitrag

Re: Atomkraftwerk flog in die Luft


Kernkraftwerke werden grundsätzlich wegen ihres "Abfalls" gebaut, da ist Yongbyon kein Sonderfall. Ist ja auch logisch: Kein vernünftiger Mensch betreibt derart riskanten Aufwand, um mittels hochbrisantem Wassersieder eine umgebaute Schiffschraube in Bewegung zu setzen. Die Diskussion erübrigt sich also keinesfalls, denn offensichtlich gibt es hier noch einiges abzuklären.
Wenn die Gefahr besteht, daß größere Lebensräume (sprich Umwelt) und/oder eine Menge Menschen verletzt oder vernichtet werden, so besteht auch die Gefahr, daß Untergebene, Rohstoffe und Nahrungsmittel schwinden, was bedeutet, daß mit wirtschaftlichen Verlusten zu rechnen ist. Genau hier liegt der Knackpunkt, wenn die Dosis dieser Verluste ein kritisches Maß überschreitet wird reagiert. Und genau deshalb wird abgerüstet, oder eben ein Atomkraftwerk abgerissen. Sicherheits- und Umweltpolitik gehen Hand in Hand, oder glaubt hier ernsthaft jemand daran, daß den Regierungen die Sicherheit einer kleinen Bevölkerungsgruppe (Minderheit) mehr Anliegen ist, als ein - sagen wir - sehr fruchtbares Land, welches zerstört werden würde und wirtschaftliche Verluste bedeuten könnte?

Der große Unterschied Yongbyons zu AKWs in westlichen Industriestaaten ist / war, dass dessen EINZIGER Grund für sein Bestehen die Plutoniumproduktion darstellt/e. Schließlich sind AKWs auch in Ländern zu finden, die nicht zu den offiziell anerkannten Atommächten zählen, sprich keine Atomwaffen besitzen, über keine verfügen dürfen und gemäß dem Nonproliferation Treaty (NPT) auch keine Bemühungen in diese Richtung anstellen dürfen. Das bedeutet die Energiegewinnung steht im Vordergrund und der „Abfall“ stellt, für jene Länder die Plutonium im militärischen Bereich nicht nutzen dürfen (siehe NPT), ein lästiges Übel dar, bei dem man nicht so recht weiß, wo und wie man es entsorgen soll (Stichwort irische See!). Hierzu zählen u.a. die Ukraine, Schweden, Spanien, Belgien, Tschechien, Slowakei, Schweiz, Finnland etc. etc. - all diesen Ländern unterstellen zu wollen sie betreiben ihre Kernkraftwerke einzig und allein wegen der erzeugten Spaltprodukte geht an der Realität vorbei. Und die Argumentation mit der „Vernunft“ – na ja – sagte doch bereits eine französische Dichterin „Es liegt in der menschlichen Natur, vernünftig zu denken und unvernünftig zu handeln.“
Ich will dich nicht davon abhalten auch weiterhin deine flammenden Plädoyers für Ökostrom zu schwingen – aber Nordkorea ist ein Sonderfall, eine eigene Welt, die sich nur langsam gegenüber seiner Umwelt öffnet. Dort zählen Kategorien wie Machterhalt, Demonstration militärischer Stärke und das Überleben des Regimes – für Begriffe wie Umweltschutz, Ökostrom oder Wohlstand der Bevölkerung bleibt da, wenn überhaupt, nicht mehr viel übrig. Das Land ist extrem auf wirtschaftliche Unterstützung und Lebensmittelimporte angewiesen, insbesondere von Seiten Chinas, das dem maoistisch-stalinistischen Land bis auf wenige Ausnahmen immer die Treue gehalten hat.
Ein folgenschwerer Denkfehler ist es, davon auszugehen, dass man hierzulande gültige Standards auf andere Weltregionen 1:1 umlegen kann. Deine Hoffnung, dass Kim Jong-il seine Regierungsgeschäfte so anlegt, dass er in erster Linie die Lebensqualität der Bevölkerung verbessert, wird unerfüllt bleiben. Die streng hierarchisch unterteilte nordkoreanische Gesellschaft sieht eine klare Abstufung von Machthabern – Partei – Militär vor. Der Einzelne zählt nichts (abgesehen vom Führer), das Kollektiv alles mit der Einschränkung, dass es in erster Linie der herrschenden Clique gut gehen muss. Die wirtschaftliche Performance des Landes ist bereits seit Jahrzehnten am Boden – fruchtbares Land durch immer wiederkehrende (nicht durch AKWs bedingte) Umweltkatastrophen (Überflutungen, Dürreperioden) rares Gut, wodurch es auch immer wieder zu Lebensmittelkrisen kam (man beachte die Daten des World Food Programs). Aus der nordkoreanischen Sichtweise heraus, ergibt sich wirtschaftliche Stärke über militärische Stärke – so erklärt sich auch, dass das Land über eine der größten Militärkapazitäten der Welt verfügt: 1,2 Mio. aktive PflichtsoldatInnen, 5 Millionen ReservistInnen und einige zigtausend Sondereinsatzkräfte.
Die nur schrittweise (nukleare) Abrüstung wiederum erklärt sich in erster Linie durch die in Aussicht gestellt wirtschaftliche Hilfe von Seiten der USA, Südkorea, Russland, China und Japan – aber auch hier gibt Nordkorea nur gerade immer so viel Preis, sodass es noch immer über genügend militärische Kapazitäten verfügt, die es als zukünftigen Verhandlungschip einsetzen kann. Wurde diese Taktik von Bush jr. zu Beginn seiner Amtszeit noch als „Blackmailing“ zurückgewiesen, ist er nun, nach einem außenpolitischen Erfolg lechzend, dazu bereit auf diese Art Geschäfte einzusteigen: somit zunächst Stilllegung, dann Sprengung des Reaktors Yongbyon – neben wirtschaftlicher Hilfe in Form von Gütern und Heizöl wird Nordkorea von der US-Terrorliste gestrichen, was gleichbedeutend ist mit der Aufhebung einer Reihe von wirtschaftlichen Sanktionen.
Ich hoffe man sieht hier, wie unsinnig es ist Standards und Kategorien von Industrienationen auf den Staat im nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel anzuwenden. So fromm der Wunsch nach einer Verknüpfung von Sicherheits- und Umweltpolitik ist – in Nordkorea bleibt es ein frommer Wunsch – und ich behaupte auch, dass sich ein Großteil der Militärs weltweit über Probleme dieser Art keine Gedanken macht.
Und nachdem du daran gezweifelt hast, dass einer Regierung die eigene Sicherheit mehr wert sein kann als die der Mehrheit, folgend eine über den nordkoreanischen Staatssender KCNA veröffentlichte Aussage von Kim Jong-il sinngemäß, anlässlich eines wieder einmal eintretenden diplomatischen Säbelrasselns: „Sollten die USA uns angreifen und einen Präventivschlag gegen unsere nuklearen Einrichtung starten, werden wir bis zum letzten Mann kämpfen. Unsere Vernichtung wird aber gleichbedeutend sein mit der Vernichtung Südkoreas und Japans.“ (weite Teile Südkoreas inkl. der Hauptstadt Seoul liegen in Reichweite der an der Grenze stationierten nordkoreanischen Raketenwerfer. Japanisches Territorium ist mittlerweile durch Langstrecken-Raketen erreichbar.)

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