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Purkersdorf wurde Sicherheitsfalle


Bahncrash Wiener Zeitung
Dienstag, 24. Juli 2001

Purkersdorf wurde Sicherheitsfalle

Kritische Bahn-Experten haben schon seit langem vor eklatanten Mängeln bei der Zugsicherung gewarnt

Von Veronika Gasser

Das Zugunglück am 14. Juli bei Purkersdorf gibt wieder einmal Anlass, über die Sicherheitstechnik der Bahn zu reflektieren. Während die Unfallkommission und ÖBB sich rasch auf menschliches Versagen als Unfallursache einigen konnten, haben kritische Beobachter der Szene schon seit Jahren vor Systemfehlern gewarnt. Sie wurden aber von den ÖBB und von der Eisenbahnbehörde ignoriert. So der starke Vorwurf eines langjährigen ÖBB-Mitarbeiters, der auch als externer Bahnkonsulenten tätig ist. Die "Wiener Zeitung" hat ihn zur Sicherungsausstattung auf unseren Schienennetzen befragt.

"Schon jahrelang ist auf Grund der zahlreichen Unfälle bekannt, dass auf den Netzen gravierende Sicherheitsprobleme bestehen. Noch vor dem Zusammenstoß der Züge habe ich die Behörde auf die Probleme angesprochen, die wir in Österreich im Sicherheitsbereich haben", erzählt der Bahnfachmann, der nicht mit Namen erwähnt werden möchte. Er sei auch diesmal wie schon die Jahre zuvor auf taube Ohren gestoßen. Denn für ihn sind die Unfälle der letzten Jahre Resultate einer Kombination aus Spardruck am falschen Ort, Rationalisierungswut und Gleichgültigkeit seitens der Entscheidungsträger. Jetzt sei es wie eh und je: Man ist auf der Suche nach einem Schuldigen und braucht sich um Systemmängel nicht zu kümmern.

"Die Weiterentwicklung der Sicherheitstechnik wurde in Österreich von der Behörde verschlafen und von den ÖBB-Managern wegen zusätzlicher Kosten verschleppt. Und die Politik hat die Tragweite dieser Stagnation nicht erfasst". Damit charakterisiert der Berater eine unheilvolle Risiko-Triade zu der sich nur noch die psychische und körperliche Überlastung des Lokführers schlagen muss. Die induktive Zugsicherung (Indusi), die unsere Bahn sicher auf den Schienen halten soll, wurde in der Zwischenkriegszeit entwickelt und von den ÖBB zwischen 1964 und 1991 installiert. Eigentlich war eine 3-stufige Sicherheitsvorrichtung vorgesehen, mit jeweils einem Magneten: Vorsignal mit einem 1000-Hertz-Magneten, 500-Hertz-Magnet als Zwischensicherung und ein 2000-Hertz-Magnet beim Hauptsignal.

Vorzeitige Zwangsbremsung durch Sicherheitsmagnet

Zwischen Vorsignal und Hauptsignal war auf neuralgischen Punkten ein 500-Hertz-Sicherheitsmagnet eingebaut. Seine Aufgabe: Den Zug auf der unsicheren Route unter 65 km/h zu halten. Wurde diese Kontrollgeschwindigkeit überschritten, so setzte die Zwangsbremsung ca. 300 Meter vor dem Hauptsignal ein. Damit war ausgeschlossen, was heute häufig passiert: Der Lokführer quittiert wohl das Vorsignal, welches ihm "Hauptsignal Halt" meldet, und fährt weiter. Dabei vergisst er aber, anstatt wie vorgesehen, die Geschwindigkeit zu drosseln, sondern beschleunigt noch. Er ist also viel zu schnell in Richtung Hauptsignal unterwegs. Zeigt dieses dann Rot, ist der Bremsweg zu kurz, um eine Kollision mit einem entgegenkommenden Zug zu vermeiden.

Sicherheitsmagnete müssen der Geschwindigkeit weichen

"Ende der 80er Jahre wurden alle Sicherheitsmagnete zwecks Systemvereinfachung ausgebaut", erklärt der Bahn-Experte, "und unerklärlicherweise hat die Aufsichtsbehörde dem auch zugestimmt." Doch mit diesem Schritt hin zur flüssigeren Betriebsabwicklung und zur Vergrößerung der Streckenkapazität stieg auch das Unfallrisiko an. Man vertraute allein auf die Geistesgegenwart der Fahrer ohne Pannen miteinzukalkulieren, da "man mit einem Hintern auf fünf Kirtagen tanzen wollte". Anstatt den fatalen Fehler wieder zu reparieren, beharrten die "ÖBB-Sparmeister" auf der Variante ohne zusätzlicher Sicherheitsbremse.

Auch konnte man sich nicht überwinden, die zweite "Indusi"-Generation aus den 80er Jahren auf allen Triebfahrzeugen und Steuerwagen zu installieren. "Hier wird der Zug 20 Sekunden nach dem Passieren des Vorsignals noch 700 Meter lang überwacht. Wenn der Fahrer versehentlich über 90 km/h beschleunigt, kommt es automatisch zur Zwangsbremsung." Mit Indusi 80 sei die Gefahr schon um ein Vielfaches minimiert, weil Fehlhandlungen kompensiert würden. Noch besser wäre die punktförmige Zugsicherung (PZB 90), die in Deutschland in Verwendung ist.

Andreas Klement vom Verein "Fahrgast" ärgert sich über die mangelhafte Sicherheitstechnik: "Die Frage ist, ob nicht das ganze ÖBB-Netz als eine potenzielle Unfallstelle zu verstehen ist, auch wenn die Bahn trotz allem das sicherste Verkehrsmittel ist. Das Problem zu geringer Sicherheitsabstände zwischen Rotlicht und möglichem Kollisionspunkt wird zumindest seit der Eisenbahn-Katastrophe von Wien-Süßenbrunn - im November 1991 prallten dort drei S-Bahnen aufeinander - intensiv diskutiert. Geändert hat sich leider nichts. Das Restrisiko der Bahn ist sowohl für die Fahrgäste, als auch für das Personal nicht mehr zumutbar."

Die Sicherheitsfalle Purkersdorf weist noch eine extra Tücke auf. Auf dieser Strecke fehlte der sonst übliche Signal-Nachahmer. "Dieser zeigt, um Schlimmstes zu verhindern, dem Lokführer das Hauptsignal an und kann zusätzlich mit einem 1000-Hertz-Magnet ausgestattet werden, womit ein Unfall à la Purkersdorf auf jeden Fall verhindert werden kann", erläutert der Experte.

Peter Gettinger von der ÖBB- Signaltechnik will diese Vorwürfe so nicht hinnehmen und erklärt, dass Bahn-Experten von "Arthur D. Little" mit einer Risikoanalyse beauftragt wurden. Ein Simulationsmodell weist die Risikostellen jedes Bahnhofs aus. Anhand dieser Studie werde man darangehen, 500-Hertz-Magnete oder Signal-Nachahmer zu installieren, denn beide böten beste Absicherung an Risikopunkten. Ansonsten wird das Schienennetz peu à peu auf das europäische Sicherheitssystem ETCS umgestellt.

Arbeitsgemeinschaft Verkehrspolitik,
Neustiftgasse 9, A-1070 Wien,
Telefon (43-1) 526 83 03.


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