Hotel New Bengal 12/2017
Da bin ich nun gelandet, in einem Stadthotel nahe dem Kolonial-Bahnhof Chhatrapati Shivaji Terminus in Mumbai. Das Entree sieht einladend aus, glänzend der Fußboden, eifrig die Rezeption, in das große, 1 m breite Gästebuch schreibend.
Am Ende eine unscheinbare Tür, die zu einem finsteren Stiegenaufgang in das Innere des Hauses zu den Zimmern führt. Das Gefühl eines unfertigen Gebäudes keimt auf - hier oftmals Standard. Das Stiegenhaus ist auch hier, sowie bei unserem Freund Ratikanta in Powai in offener Bauweise errichtet, d. h., Wind, Innen- und Außengeräusche zirkulieren ungehindert.
Über Booking.com haben wir es gefunden, einladend das Bild am Handy anzuschauen. Ein Einzelzimmer ist verfügbar, Andis Einzelzimmer in einem vergleichbaren Hotel gleich 2 Hausnummern weiter, am Eck. Ich habe das Los des moderneren Zimmers gezogen, renoviert, ausgestattet, mit gangseitigem Fenster, natürlich kein Schimmel.
Zwischen unserem Homestay bei Sreeghanlal in Navi-Mumbai, einem ruhigeren Vorort und dem Besuch bei unserem Freund Ratikanta in der IIT Mumbai-Powai lassen wir uns hier nieder.
Ich bin ein wenig angeschlagen, Diarrhoe, würde man hier sagen – habe vermeintlich zu viel Indisches Essen anfänglich genossen…
Nach unserem Abendspaziergang durch den nahen Crawford-Market bin ich ab 21.30 h allein auf meinem Zimmer. Die Wände sind dünn, die Klimaanlage kann wegen ihres lauten Geräusches und der Kälte-Kumulation nicht dauernd laufen…
Durch Menschenmassen haben wir uns gewälzt, durch Lacken, Bündel, durch am Boden sitzenden und liegenden behinderte Menschen, durch Obst und Gemüse, vorbei an Straßenrand parkenden Autos,
begleitet vom immerwährenden Lärm einer Großstadt, das ständige Gehupe und Geschrei der unzähligen Leute; zum Glück musste ich nicht aufs WC, es gab nämlich keines unterwegs, nur in einem Tempel, dort war mir der Eintritt verwehrt.
In einer Kaffeebude, in welcher im Hinterraum in einem Topf mit ca. 1 m Durchmesser der Sud angerührt wird, machen wir kurz Rast, bin ich den starrenden Blicken der herumsitzenden Männer preisgegeben; der Besitzer hieß uns jedoch willkommen.
Jetzt liege ich im renovierten Touristen-Zimmer und versuche zu entspannen. Ich denke an das schöne Dorf in Takarli-Beach am Meer,auf dem Weg nach Goa, mit Vogelgezwitscher, unebenem Boden, Dachterrassen der alten Lehmhäuser, über welchen sich die Blüten der Mangobäume im Wind wiegen. Ruhe in der Luft, gefühlt leere Räume in den neuen Häusern aus Beton. Nur der kleine Gebetsraum, ein Hinduschrein in Miniatur, vermittelt das Bewohntsein -
Da fällt mir ein, auch ein Küchenkästchen, das bei Bedarf zu öffnen ist, kann ein Altar sein! Ratikanta hat einen solchen -
Natur pur, hier gibt es sie. Keine Abfallhaufen neben in duftenden Saris gestylten Inderinnen, nur herabgefallene Äste und die Reste des Betelnuss-Kauens in Knallrot.
Kleine Gärten, die Krämersfrau sitzt in ihrem Geschäftsfenster und bietet Schlangen von in Plastik gepackten Schleckern feil.
Ich wäre entschlummert, da kommen die Nachbarn nach Hause. Eine gefühlte halbe Stunde ratschen sie in höchsten Tönen vor meiner Tür, es ist 23 h. Der für mich so nötige schöpferische Schlaf stellt sich dank der Raumtemperatur und weiteren Umständen nicht ein. Ich schwitze, wate zum WC, wanke zum Bett, nach 15 min wiederholt sich dieses.
Dann wird es leiser.
Doch das Geschirrklappern ist weiterhin der Haupt-Geräuschhintergrund.
Die Oase der IIT Bombay in Powai-Mumbai, wo wir unseren Bekannten, Professor der Philosophie, Ratikanta Panda, besuchten, kommt mir in den Sinn. Europa in den Moloch gepflanzt. Bäume bis zum 6. Stock, ein mit Blumentöpfen im bunten Design bestückter geräumiger Balkon, der im Schaukelstuhl die laue Nachmittagsluft genießen lässt, die ansässigen Vögel zum Greifen nah. Ein Nachmittag vergeht mit Schlummern, Dösen, Teatime wie im Flug. Nicht einmal herumgeschlendert sind wir durchs Grün, nicht einmal den angrenzenden See berührt.
Die Wohnung mit 3 Zimmern, über einen Aufzug erreichbar, Parkplätze für Auto und Motorrad vorhanden.
Nur am Abend, nachdem der Wagen vom Wagenwäscher gewaschen und die Batterie von den um 20 h herbeigerufenen Mechanikern getauscht worden war, tauchen wir wieder in Menschenmassen und Lärm ein, diesmal im Supermarkt, wo wir 1 Flasche Wasser erwerben wollen, dafür beim Eingang auf Metallgegenstände gescreent werden und an der Kasse 20 min warten hätten müssen...
Das angrenzende Viertel scheint einer Filmkulisse entsprungen, geschniegelt, moderne Bauten, nächtlich bunt beleuchtet. Aufgeräumt!
Gleich ums Eck gelangen wir zur Kusine von Ratikanta, Mama, welche ihm ein Abendessen bereit hält, um uns zu verköstigen. Soziale Versorgung in Indien, wenn die Ehefrau noch im Heimatdorf in Odisha weilt. Seit Ratikanta bei uns in Wien war, habe ich auch ihren Kontakt auf dem Handy -
Die Zimmerwände sind aus Papier. 3 indische Männer unterhalten sich nun im Flur. Mitternacht. Heiß ist es.
Mein Bauch lässt mir keine Ruhe, der fehlende Schlaf verlängert das Leiden, das durchzustehen ist – nichts Beängstigendes, nur für den Gesundungsprozess zu Ertragendes.
Indien! Wir Europäer berichten von den uns augenscheinlichen Unterschieden, bewerten im Geiste und doch ist dieses Leben hier lebbar, wie millionenfach bewiesen -
Um 1 h verebbt das Geschirrklappern.
Bis um 4 h herrscht einigermaßen Ruhe.
Das ist das großartige Indien, von welchem unser 1. Gastgeber, Sreeghanlal, schwärmt.
„India is great, we have everything!“.
Während der 4 Tage, die wir in seiner Wohnung zu Gast sind, ist der Himmel klar. Auf dem Weg nach Goa wälzte sich unser Taxi 10 min lang unter einem geschlossen gelbfarbenem Himmel entlang; „Yes, Ma´am, this is Navi-Mumbai!“
Sreeghanlal konnte nicht verstehen, warum er seine finnische Freundin mit Haushaltshilfe, Koch und Chauffeur nicht zu ihm locken konnte... obwohl es dort im Norden doch so lange finster ist! (abgesehen von etwas Unvorstellbarem wie lang anhaltender Kälte).
Die Dienstleistungsnation Indien. Auch Sree lässt seine Wohnung putzen, sich das Essen vorbeibringen und die Wäsche abholen zum Waschen, denn nur Hände reinigen Kragen und Ärmelenden wirklich gründlich!
Die Wäscherei! 2 öffentliche, unter freiem Himmel, haben wir kennen gelernt. Eine auf dem Malabarhill, im noblen Viertel, an einem Pilgerort.
Die andere riesige, im Stadtteil Dhobi Gat, die Wäscher mit ihren Familien leben dort in ihren kleinen Hütten, es wird nach System Wäsche aus Hotels und Privathaushalten sortiert und gepflegt. In der Lauge barfuss gestampft, luftgetrocknet auf Dutzenden Wäscheleinen. Mit Fahrrädern transportiert. Ein Wäscheviertel sozusagen, Besucher unerwünscht.
Meister sind hier am Werk, schon in der Akribie der Dabawallahs, den Essensausträgern, ersichtlich.
… ich träume von den Farben Indiens... „ring, ring!“ tönt es vom Gang her - diese vermaledeiten Handys!
Leise stellen gibt’s hier nicht.
Handys sind Lebenselixier, Lebenserhalt.
So wie uns Sree schon bei unserer Ankunft am Flughafen eindrücklich erklärt hatte.
Wären wir nicht so müde gewesen, hätten wir nicht einige Reiseerfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Mentalitäten mitgebracht, wir hätten auf der Stelle sein Haus verlassen, auch wenn es 2 h morgens war.
Aber so saßen wir da, nach ca. 5 min dämmerte es mir, dass er uns in Indian English eine Strafpredigt hielt: warum habt Ihr das Handy nicht eingeschalten, ich hätte Euch im Taxi hierher gelotst?
Besser, durch das Handy des Taxifahrers!
Es ist Nacht, es ist niemand auf den Straßen in diesem Viertel, ihr könnt die Sprache nicht, ihr wisst nicht, wo ihr hin müsst, das geht gar nicht!
Langsam begriffen wir... die Technologie steht über jedem Menschenverstand, jeglichem Vertrauen in einen Taxifahrer, jegliche Ortskenntnis desselben...
Um der misslichen Situation weiter zu entgehen, nicken wir verständnisvoll, fast in Schlaf fallend um diese Uhrzeit, beteuern, dass in Österreich ein Taxler das durchaus bewerkstelligen könne und wir doch keine indische SIM-Card besäßen, dass W´lan nur im Flughafenbereich funktioniere und damit What´s App...
Aber so empfinde ich sie, die Inder. Aufbrausend, laut, überzeugt. Beim ersten Kennenlernen, Sree, ein wildfremder Mensch, bekannt nur durch das Homestay-India-Profil...
Nach einem kurzen Schlafintermezzo ist das Telefonläuten nicht das einzige Geräusch jetzt: das Tellerklappern fängt wieder an.
Ich ärgere mich, freue mich jedoch, eine authentische Nacht erleben zu können, wenn man nicht im 4-Sterne-Hotel bucht. Und dieses Hotel ist kein schlechtes vor Ort...
Noch wenigstens zwei Stunden Schlaf bitte!! Irgendwie gelingt es, bis ich von den unwiderstehlichen Essensgerüchen umhüllt werde.
Frühstückszeit!
Nach 7 h begebe ich mich auf die Suche nach dem Frühstücks-“Raum“. 2. Stock hatte man mir gesagt.
Ich betrete einen dunklen Gang, gesäumt mit riesigen Schüsseln aus Plastik und Metall mit Essensresten, daneben Herdplatten, bis ich einen Inder am Boden werken sehe. Dieser deutet nach links. Doch dort sehe ich außer Wand – nichts. Er bestätigt seinen Wegweiser, bis ich eine kleine Türschnalle ausmachen kann und diese betätige. Es wird nicht heller.
Wäre ich nicht mit Andi unterwegs, hätte ich Beklemmung verspürt. Dieses alles umhüllende Gefühl der Einsamkeit, welches aufkommt, wenn alles Vertraute, Wohltuende, in der Seele Frohsinn auslösende, abhanden ist.
Aber anhand der freundlich lächelnden schon versammelten Indischen Familien erkenne ich, dass hier Essen angeboten wird -
Der Kellner bedeutet mir, Platz zu nehmen, ich erkenne auch ein kleines Buffet. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die fahle Beleuchtung. Angrenzend ist ein größerer Essensraum. Es gab also die halbe Nacht fleißigen Restaurantbetrieb!
Ob meines Verdauungs-Zustandes wähle ich das „Continental Breakfast“. Die Indischen Familien tun sich an Idli, Chapati, Curry, Dal schon am Morgen gütlich. In rauen Mengen.
Essen ist hier 3 mal täglich eine Lebensphilosophie.
Ich erinnere das Foto unseres Freundes Hans, der bei Ratikantas Kusine in Odisha zu Gast war und auf der ihm vorgesetzten riesigen Metallplatte einen Berg Reis, Dal, Curry-Gemüse, Spinat, Käse und Chapati genießen durfte. Dazu ein großer Becher Lassi - seine Überforderung ob der Gastfreundschaft stand ihm in den Augen geschrieben -
Und dann holt mich Andi ab. Obwohl er nicht hier wohnt, darf er am Frühstück teilhaben.
Wir beide nehmen diese Nacht als Indisches Abenteuer im Kopf nach Europa mit,
Ratikanta und seine Familie sehnen sich nach ihrem 1-wöchigen Aufenthalt in Österreich nach ihrer durch keine Kulinarik ersetzbaren Indischen Küche und dem Leben ihrer Heimat.
Susanne Wallner
Dezember 2017