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Bruno Schwebel kehrte in die Orte seiner Kindheit zurück


In der kommenden Ausgabe (148) der Obdachlosen - Zeitung AUGUSTIN wird folgender Artikel über Bruno Schwebel erscheinen:
Das Herumstreiten war uns zu mühsam“

Bruno Schwebel, Maler, Schriftsteller, Schauspieler, ehemaliger Schachmeister und Akkordeonist, der 1938 als 10jähriges Kind aus Österreich fliehen musste, kehrte an die Orte seiner Kindheit zurück: Brigittenau, Neulengbach und Purkersdorf. In der „Galerie vor Ort“ präsentierte er erstmals in Österreich seine großformatigen Ölbilder. Außerdem wurde sein neuestes Buch „Das andere Glück – Erinnerungen und Erzählungen“ vorgestellt. Mit der vielseitigen Künstlerpersönlichkeit sprach Gerald Grassl.

Sie sind in Wien-Brigittenau geboren. Haben Sie daran noch Erinnerungen?

An viel kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich lebte in der Donaueschingenstraße, das war ein Gemeindebau. Es waren friedliche Tage. Mein Vater hatte Arbeit. Wir gingen oft auf die Donauwiese oder machten auf den Kahlen- oder Bisamberg Ausflüge. Ich erinnere mich an einen Eisverkäufer am Allerheiligenplatz, da musste man die Stiegen hinunter steigen. Dieses Lokal existiert heute noch, ist aber kein Eisgeschäft mehr. 1934 wurde mein Vater arbeitslos und wir gingen nach Neulengbach.

Sie mussten als 10jähriges Kind Ende 1938 aus Österreich flüchten. Sie kamen über Frankreich 1942 nach Mexico, wo Sie noch heute leben. Wann sind Sie erstmals wieder nach Österreich zurückgekehrt?

Erstmals kehrte ich 1954 anlässlich meiner Hochzeitsreise zurück.

Sie besuchten jetzt Neulengbach, den Ort Ihrer Kindheit. Wie erging es da Ihnen, der unter so dramatischen und gefährlichen Bedingungen Neulengbach verlassen musste?

Die Rückkehr im Jahr 1954 war für mich eine sehr dramatische Angelegenheit. Mein väterlicher jüdischer Großvater war Anfang der 20er-Jahre von Wien nach Neulengbach übersiedelt. Er war in Wien Uhrmacher und hatte sich dann mit seinen kargen Ersparnissen dort ein verfallenes Bauernhaus mit einem Garten gekauft. Dort kam oft die ganze jüdische Familie zu Besuch. Er hatte zwei Söhne und vier Töchter. Das waren jedes Mal sehr schöne Zusammentreffen. 1934 sind meine Eltern von Wien nach Neulengbach übersiedelt und ich ging dort zur Schule. Daran habe ich sehr schöne Erinnerungen. Jedesmal, wenn ich nach Wien komme, fahre ich auch nach Neulengbach, um zu schauen, wie sich das verändert hat. Es ist jetzt kein Dorf mehr, sondern ein sehr schönes Städtchen geworden. Das Grundstück meines Großvaters ist inzwischen umgebaut, das Herzstück des riesigen Gartens wurde auf mehrere Eigentümer aufgeteilt. Aber mit jedem Besuch wird die Wehmut immer geringer. Ich kann mir inzwischen das alles schon wieder relativ kaltblütig anschauen.

Der Bauernhof ist arisiert worden. Bekam Ihre Familie dieses Eigentum nach 1945 zurück?

Die Familienmitglieder sind nach 1938 aus Österreich weg, und mein Großvater blieb mit der ältesten Tochter allein zurück. Er musste dann das Grundstück hergeben, kam danach in ein Altersheim nach Wien, in die Seegasse. Von dort wurde er deportiert. Er starb 1942 in Treblinka. Wir hätten da vielleicht etwas machen können, aber das Grundstück war inzwischen aufgeteilt, wir hätten jahrelang gegen viele Leute prozessieren müssen. Das Herumstreiten war uns zu mühsam.

Ich möchte das Wort „Gutmachung“ nicht verwenden

Wie lange hatte es gedauert, bis sich das offizielle Österreich an Sie erinnerte und Sie eingeladen hat?

Das weiß ich nicht mehr. Irgendwann in den 90er-Jahren. Ich möchte das Wort „Gutmachung“ nicht verwenden. Ich habe vor 5 oder 6 Jahren eine fixe Geldsumme bekommen. Leute, die nach 1938 ein Vermögen, ein Haus oder Grundstück verloren haben, bekommen auch einen gewissen Betrag zurück, aber wie das funktioniert, weiß ich nicht genau. Ich habe nichts zu reklamieren. Vielleicht das Grundstück in Neulengbach. Aber das zahlt sich nicht aus. Ich habe einen Cousin in Amerika, der diesbezüglich initiativ ist. Da wird aber nicht viel dabei herausschauen. Wahrscheinlich gar nichts.

Ihnen wurde sicher ein großer und wichtiger Teil Ihrer Kindheit gestohlen. Kann man eine solche Vergangenheit so einfach wegstecken?

Natürlich nicht. Man lebt in zwei Welten. Ich kann nicht sagen, dass ich meine Kindheit verloren habe. Ich habe meine Kindheit in Österreich verloren! Die Kindheit von drei Jahren Aufenthalt in Frankreich war voll Stress. Aber wir gingen in die Schule, spielten und lebten wie die anderen. Aber die sehr schöne Kindheit in Neulengbach mit den riesigen Gärten, baden gehen, Schwammerl suchen und herumtollen ist verloren gegangen.

Ihre Kindheit war von ständigen Veränderungen geprägt. Sie mussten zwangsweise mehrmals die Heimat und die Sprache wechseln. Das ist ja nicht einfach.

Als ich 10 Jahre alt war, flüchteten wir nach Frankreich. Ich ging dort in eine französische Schule. In Mexico war es das gleiche. Da war ich 13 1/2. Ich ging in eine mexikanische Schule ohne ein Wort spanisch zu sprechen. Diese Schule war gegenüber einer deutschen Schule, benannt nach Alexander Humboldt, wo Nazilehrer unterrichteten. Als mein Bruder und ich uns zum Schulunterricht anmelden wollten, sagten die, ihr seid hier falsch, ihr gehört dort rüber zu den Deutschsprachigen. Aber wir beharrten darauf, dass wir dort nicht hinwollten und blieben. Wir sind in dieser mexikanischen Schule sehr gut aufgenommen worden.

Wenn ich Biographien lese, bin ich jedes Mal wieder schockiert, wie es den Nazis gelang, die Seelen der Menschen in kürzester Zeit zu verseuchen. Auch bei Kindern. Gibt es diesbezüglich bei Ihnen auch Erinnerungen?

Nicht viel, aber doch etwas. Das 3. und 4. Schuljahr absolvierte ich in Purkersdorf. Purkersdorf war unser letzter Aufenthalt in Österreich. Mitte 1938 wurden wir von der Schule rausgeschmissen. Da wurden wir von einigen Schulkameraden als „Jud! Jud! Saujud!“ beschimpft und mit Steinen beworfen. Das hat sehr weh getan. Nach der „Reichskristallnacht“ musste mein Vater als Jude und engagierter Sozialdemokrat nach einem Tipp von einem Freund sofort nach Frankreich fliehen. Mein älterer Bruder ging mit ihm. Meine Mutter blieb mit mir zurück und verkaufte die letzten Habseligkeiten. Dann folgten wir ihm illegal Ende 1938 nach Paris.

Mexico war 1938 neben der Sowjetunion das einzige Land, das gegen die Besetzung Österreichs durch das NS-Regime im Völkerbund protestiert hat. Wie war die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Asyl suchenden?

In diesen Jahren hatte Mexico einen links orientierten Präsidenten. Er öffnete die Grenzen Mexikos. Vor allem für Spanier, die ihr Land nach dem Ende des Bürgerkrieges 1939 verlassen mussten. Aber auch viele Angehörige der Internationalen Brigaden kamen. In Marseille brachte der mexikanische Konsul Gilberto Bosques zwischen 1938 und 1942 etwa 40.000 Flüchtlinge nach Mexico. Darunter waren auch Hunderte deutschsprachige Verfolgte des Nazi-Regimes. Zu diesem Zeitpunkt, als wir nach Mexico kamen, war es bereits unmöglich, eine Einreisegenehmigung nach den USA, England oder Argentinien zu bekommen. Wir fühlten uns in Südfrankreich wie in einem Loch, aus dem es kaum mehr ein Entkommen geben konnte, denn im Norden war das von Deutschland besetzte Frankreich, im Osten das faschistische Italien und im Süden das faschistische Spanien. Da herauszukommen war sehr, sehr schwer.

Wie war die Aufnahme durch die mexikanische Bevölkerung?

Die Stimmung in der Bevölkerung war eigentlich sehr freundlich gegenüber Deutschland. Und den USA gegenüber ziemlich unfreundlich. Mexico erklärte Deutschland den Krieg Mitte 1942, aber das war eher eine Formalsache. Im Zuge dessen wurden mehrere hundert Deutsche interniert. Das waren meistens bekannte Nazis von den Kaffeeplantagen im Südwesten von Mexico. Die wurden in einer Stadt des Bundesstaates Veracruz interniert. Die grüßten sich dort mit dem Hitlergruß und feierten den Geburtstag des „Führers“.

Man könnte also sagen, dass für Sie erst ab Mexico ein „normales“ Leben möglich wurde?

Ja. Neben der Schule gingen mein Bruder und ich auch noch in eine Kunstschule. Dann studierte ich an der Technischen Hochschule und wurde 1950 Ingenieur. Danach bekam ich sofort eine Arbeit beim Fernsehen. Mexico hatte den ersten Fernsehsender in Lateinamerika. In Europa begann Fernsehen erst Jahre später. Ich arbeitete bei diesem Sender bis 1998. Gleichzeitig widmete ich mich der Malerei und dem Schreiben.

Ich komme sehr gerne mit offenen Augen und Ohren zurück

Was an Ihrer Biographie noch auffällt, ist, dass Sie mexikanischer Schachmeister waren. Nun ist es so, dass es wohl bei jedem Talent eines Menschen einer besonderen Förderung bedarf. Wie wird man Schachmeister?

Die Technische Hochschule war im Zentrum von Mexico-City. In der Nähe gab es ein Schachzentrum und mehrere Plätze, wo man Schach spielen konnte. Dort habe ich gut Schach spielen gelernt und dann auch um Geld gespielt. Dann begann ich auch bei Turnieren zu spielen. Der Höhepunkt meiner Schachkarriere war 1959/60. Ich habe viele Jahre lang Fernschach gespielt. Da hat man mit Schachfreunden aus aller Welt gespielt: Ein Zug pro Brief. Da dauerte eine Partie zwei Jahre. Aber wie das mit dem Computerschach aufgekommen ist, hat das an Reiz verloren. Denn wer das bessere Computerprogramm hatte, konnte natürlich den besseren Zug planen. Jetzt spiele ich immer noch gerne 2 bis 3 Mal in der Woche Blitzpartien und so. Das macht mir Spaß. Ob ich gewinne oder verliere ist mir nicht mehr so wichtig.

Ihre Heimat ist heute eindeutig Mexico.

Ja. Aber ich komme sehr gerne mit offenen Augen und Ohren zurück und fühle mich hier sehr wohl.

Was fällt Ihnen hier an Veränderungen auf?

An dramatischen Veränderungen fällt mir nichts auf. Was mir aber positiv auffällt, ist, dass es in Österreich immer mehr Interesse an der Vergangenheit gibt. Das kommt zwar sehr langsam heraus, aber es kommt heraus. Ich erhielt zum Beispiel eine Einladung zu einer Ausstellung über österreichische Emigranten in Südfrankreich in Purkersdorf. In Purkersdorf! Das kann man sich gar nicht vorstellen. Es bewegt sich was. Da gibt es Organisationen gegen Rassismus und Gewalt. Das gefällt mir. Und das fällt mir auf.

(info)

Das andere Glück – Erinnerungen und Erzählungen“: 290 Seiten, Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, Euro 21,-

Galerie vor Ort“. Wohlmuthstraße 14 – 16, 1020 Wien


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