Purkersdorf Online

Zum Gedenken an Erwin Czernoch


Erwin Czernoch starb nach kurzem Leiden am 7. Februar 2003. Er wäre nächstes Monat 80 geworden. Er war ein "alter Purkersdorfer" und wusste zu erzählen, wie es früher war. Durch Glück überlebte er die NS-Zeit, in der er aufgrund seiner Herkunft besonders gefährdet war. Er war nach 1945 in der KP an Seite seines Bruders aktiv, der von 1953 bis 1985 (!) in Purkersdorf Gemeinderat war. Zuletzt war er auch auf der LIB-Kandidatenliste. Zu seinem Gedenken im folgenden eine Zusammenfassung aus einem Interview, das Dr. R. Herzog mit ihm vor einigen Jahren geführt hat und das demnächst redigiert in einem Buch über die Alltagsgeschichte erscheinen wird.

J.B.


"So haben wir uns halt durchgeschlagen" - Frauen und Männer aus Purkersdorf erzählen aus ihrem Leben.

"Seit 1928 lebe ich in Purkersdorf, in der Wientalstraße 54, Postsiedlung. 1946 habe ich geheiratet . . 

Mit den Zehen gespielt. Und Fußball
Unsere Kinder, die haben wenigstens den Schulautobus. Die haben heute schon viele Möglichkeiten. Jeder hat einen Computer zum Spielen. Ich habe mit den Zehen gespielt. Und Fußball. Den ganzen Tag. Im Winter Schifahren. Da hat´s noch keine Overalls gegeben, so wie heute. Gestrickte Strümpfe. Da ist das Eis auf den Strümpfen gehangen. Wir sind nicht krank geworden. Wir sind immer noch gesund. Weil wir immer Arbeit haben. Heute haben alle Kinder Kabelfernsehen. Wir haben nicht einmal einen Radio gehabt. Später haben wir einen Volksempfänger gehabt. Mit dem haben wir immer gespielt, daran herumgedreht.

Der Vater
Mein Vater hat im ersten Weltkrieg einrücken müssen. Er ist Oberleutnant gewesen, bei den Deutschmeistern. Nach dem Krieg hat er gesagt: "Nein, ich gehe nicht mehr zurück." Er hat soviel gesehen, im Krieg. Nach dem Krieg ist dann die Arbeitslosigkeit gekommen. Er ist dagestanden ohne Posten. Später hat er einen Posten gekriegt: Er war im Diana-Bad Maniküre und Pediküre. Bis 1955. Da ist er gestorben.

Die Mutter: nach dem Hitler "Halbjüdin"
Meine Mutter hat eine "Singer" Nähmaschinen Filiale in Wien gehabt. Hat´s alles verkauft: die Wohnung, die Filiale. Und dann haben wir das Haus da gekauft, im 28er Jahr. Wir sind herausgezogen und es war gerade so ein strenger Winter: minus 20, 25 Grad. Meine Mutter war nach dem Hitler eine "Halbjüdin". Ihr Vater war Jude. Sie ist nach England geflüchtet. Ausgewandert ist sie mit einer Nichte. Die ist in England geblieben. Die ist auch schon über 80. Mit der haben wir noch Verbindung. Meine Mutter hat in England einen schönen Posten gekriegt in einem Chester-Hotel, ein großes Hotel. Da war sie Kindertante.

Seelisch getroffen
Während des Krieges haben wir keine Verbindung mit ihr gehabt. Das war sehr schwer für mich. Der Vater hat sich dann eine Freundin genommen. Im 45er Jahr hat die Mutter geschrieben oder telegraphiert. Im 46er Jahr ist sie wieder zurückgekommen. 16 Kilo Saccharin hat sie mitgebracht. Sie ist auch 1955 gestorben, ein dreiviertel Jahr nach dem Vater. Sie sind nicht alt geworden. Mein Vater ist mit 60 gestorben, die Mutter mit 58. Sie waren durch den Krieg seelisch ein bisschen getroffen. Dadurch, dass sie getrennt waren.

Sängerknabe
Ich habe die Volksschule Purkersdorf besucht. Mein Vater hat Beziehungen gehabt nach Heiligenkreuz. Er war Kleriker in Heiligenkreuz. Ich habe die Aufnahmeprüfung zu den Sängerknaben gemacht. Aber nicht in Heiligenkreuz, da war mein Bruder. Dort haben sie keinen Platz mehr gehabt. Ich bin mit zehn Jahren nach Klosterneuburg gekommen, als Sängerknabe. Ich war dort vier Jahre lang. Dann hatte ich den Stimmwechsel.

Lehre
Im 38er Jahr bin ich nicht mehr ins Kloster gegangen. Ich bin nach Wien ins Gymnasium gekommen, habe nicht gut gelernt und bin geflogen, in Griechisch und Latein. Mein Vater hat gesagt: "Na, musst was lernen." Also habe ich eine Lehre angefangen. Im dritten Bezirk. "Kolben-Kraus" hat der geheißen. Eine große Firma, die für Autos Kolben und Lager gemacht hat. Und alles was zur Motoreninstandsetzung gehört hat. Damals hat ja ein Motor nur 30.000, höchstens 50.000 Kilometer gehalten. Ich habe dann meine Gesellenprüfung gemacht.

Kein Geld für die Straßenbahn
Ich bin jeden Tag von hier mit dem Radl in den dritten Bezirk gefahren. Warum? Weil ich so wenig Geld hatte, dass ich mir die Straßenbahnfahrkarte nicht kaufen konnte. Ich habe drei Schilling fünfzig verdient in der Woche. Und die Wochenkarte hat vier Schilling gekostet. Mein Vater hat mir um 29 Schilling ein Fahrrad gekauft. Und das haben mir dann die Russen gestohlen.

Der Bruder Alfred
Mein Bruder, Alfred, war zwei Jahre älter. Er hat Matura gehabt und studiert. Er ist zur Gemeinde Wien gekommen. Die hat ihn dann zur Gemeinde Purkersdorf abgegeben. Hier war er Finanzdirektor, ich glaube bis 1983/84.

Urlaub mit hundert Schilling
Wie wir so fünfzehn, sechzehn Jahre alt waren hat es sehr sehr viele Schwammerln gegeben. Da hat die Mutter gesagt: "So viele brauch ich nicht. Geht sie verkaufen." Sind wir zu den Nachbarn gegangen und haben sie verkauft. Eh billig, um einen Schilling. Da haben wir hundert Schilling zusammengebracht. Mit den hundert Schilling sind wir mit dem Radl vierzehn Tage ins Salzkammergut gefahren. Überall waren wir: in Gmunden, am Attersee, am Schafberg. Zeitig in der Früh, um vier Uhr, sind wir aufgestanden. Auf den Schafberg rauf. Von unten sehen wir, dass da so viele Leute oben stehen. Sagen wir uns: "Das gibt´s doch nicht, wir sind doch die ersten." Oben sind wir erst draufgekommen, dass die Zahnradbahn raufgeht.

Hendl, Hasen, Enten, Gansl, Truthendl
Meine Mutter hat Hendln gehabt, Hasen, Enten. Wir haben 40 Hasen gehabt. Gansln haben wir auch gehabt. Der Gänserich hat mich einmal ins Wadl gezwickt. Die Hendl sind immer im Wald herum gewesen. Ist der Förster gekommen und hat geschimpft: "Was machen ihre Hendln im Wald?" Hat die Mutter gesagt: "Was macht ihr Fuchs in meinem Stall?" Ist er wieder gegangen. Ein Truthendl haben wir auch gehabt. Eines Tages war des Truthendl fort. Nach zwei, drei Tagen ist sie wieder gekommen. Hat sich angefressen und war wieder weg. Wieder zwei, drei Tage nicht gekommen. Ist ihr der Vater nach, wo sie hin ist. Hat sie im Wald oben ein Nest gehabt - mit zwanzig, dreißig Eiern. Die hat der Vater dann runtergeholt und ihr im Garten ein Nest gebaut.

Unser Hund
Einen Hund haben wir auch gehabt. Sie haben ja auch früher überall eingebrochen. Es gab ja Arbeitslosigkeit. Der Hund war auch gut für die Hendln. Zwei, drei Hendl haben wir immer durch den Fuchs verloren. Seit wir den Hund gehabt haben, haben wir keine Hendln mehr verloren. Die Hendl sind oft in den Wald. Auf einmal gackert eine. Der Hund rauf. Bringt er eine Eskulapnatter daher. Mein Vater hat sie erschlagen und für die Hendln zerhackt. Die Hendln haben sie gierig aufgefressen.

Gemüsegarten
Und einen Gemüsegarten haben wir gehabt. Den hat jeder gehabt. Dadurch, dass so viele Pferde waren, hat uns unser Vater immer geschickt, mit der Scheibtruhe, die Rossäpfel einzusammeln. Für den Garten, für die Gurken und so. Mein Großvater hat überhaupt nichts gekauft. Der war Holzhacker. Der hat das ganze Jahr Zwiebel, Erdäpfel, Milch gehabt. Am Sonntag hat´s Fleisch gegeben. Einmal die Woche. Es ist immer mit Schmalz gekocht worden. Zur Jause haben wir ein Schmalzbrot gekriegt. Kühlschrank haben wir keinen gehabt. Den hat´s erst viel später gegeben.

Der Wienerwaldsee
Aus dem Dambachtal haben sie den Lehm abgegraben und raufgeführt zum Wienerwaldsee. Damit haben sie den Damm gedichtet. Das Wasser haben sie nach Wien verkauft. Das Wasserwerk haben sie ja für Nutzwasser gebaut. Da war eine Leitung vom Wasserwerk bis zum Westbahnhof. Das Wasser hat die Bahn gebraucht. Damit haben sie die Lok gespeist. Die Westbahn war ein Dampfbetrieb. Und die haben unheimlich viel Wasser gebraucht. Da hat´s entlang der Bahn riesige Wasserspeicher gegeben. Früher hat das Wasserwerk einer belgischen Gesellschaft gehört. Die hat natürlich so viel zurückgehalten wie möglich, damit sie viel Wasser zum Verkaufen gehabt haben. Sie haben das Wasser so lange zurückgehalten, bis der See ganz voll war. Dann ist er übergegangen und sie haben die Schleusen aufgemacht. Das haben sie mindestens fünfmal gemacht. Die halbe Postsiedlung ist unter Wasser gestanden. Der alte Menschik ist bis zum Hals im Wasser gestanden. Den haben sie mit der Feuerwehr herausgeholt.

Der Steinbruch
Da hinten im Dambachtal ist ein Steinbruch. Wie ich ein Kind war, war der Steinbruch noch in Betrieb. Der war bis zum 45er Jahr in Betrieb. Der Steinbruch hat einem gewissen Mahr gehört. Und zwar haben die Steine gemacht für die Straße. Die Straßen waren damals nur Sandstraßen. Die meisten Straßen heute waren ja überhaupt nur Wiesen. Im Steinbruch sind sogar Frauen gewesen, die die größeren Steine mit der Hand zerschlagen haben. Die haben da vorne beim Sulzer gewohnt. Der Sulzer war der Meister. Im Steinbruch waren im Krieg Baracken von den Deutschen. Da war Munition gelagert. Die Russen haben das dann angezündet. Eine ganze Woche hat´s da hinten gekracht. In der ganzen Umgebung sind Eisenstückl herumgelegen.

Die Kracherlfabrik
Der Mahr hat auch eine Sodawasserfabrik gehabt, Kracherl und Sodawasser selbst gemacht. Der hat die ganzen Greissler und die Gasthäuser beliefert. Wenn wir zu dem gegangen sind und gesagt haben: "Herr Mahr, können wir ein Kracherl haben?" hat er gesagt: "Ein Kracherl? Da habt´s ein Wasser." Und wenn wir um ein Wasser gefragt haben: "Ein Wasser wollt´s? Da habt´s ein Kracherl." Das war sein Prinzip. Der Mahr hat das Sodawasser und die Kracherl mit den Pferden ausgeführt. Der hat 40 Paar Pferde gehabt.

Unterm Hitler
Dann ist der Hitler gekommen. Wir haben im Betrieb weitergearbeitet. Wir haben für die Flugzeugwerke Kolben gemacht. Während dem Hitler haben wir von sieben Uhr in der Früh bis in die Nacht hinein gearbeitet. Auch Sonntags. 70 Stunden. Da hat´s keinen Samstag und keinen Sonntag gegeben. In unserem Betrieb waren nicht nur Österreicher. Wir haben Franzosen, Engländer und bei den Bohrmaschinen russische Frauen gehabt. Die Engländer, die haben nur 45 Stunden gearbeitet. Die waren vom Roten Kreuz geschützt. Die russischen Frauen nicht. Die haben mit uns gearbeitet. Unser Chef, der hat einen eigenen Mann angestellt gehabt, einen Älteren, der ist aufs Land hamstern gefahren. Für ihn. Der Zug ist immer gefahren. Auch während dem Hitler. Das war die einzige Verbindung. Die Autobusse haben sie langsam eingestellt, weil kein Sprit da war.

"Nicht zu verwenden"
Ich war belastet - "n.z.v.", das heißt "nicht zuverlässig". Das war ich durch die Mutter. Hat mich mein Chef - obwohl er ein Botzn Nazi war - immer vom Militär entheben können. Mein Bruder war eingerückt. In Tschechien, Polen, Frankreich und dann nach Rußland.

Es hat sich nichts abgespielt
In Purkersdorf war der Bürgermeister Nazi. Der hat auch in der Postsiedlung gewohnt. In Purkersdorf hat sich nichts abgespielt. Du hast keinen Wein gekriegt. Du hast nichts zum Essen gekriegt. In den Gasthäusern. Da waren früher ja viel mehr in Purkersdorf. Der Dorfinger. Dort, wo jetzt der Libro ist, da war der Brandstätter. Und vor dem Brandstätter war ein kleines Cafehaus. "Cafe Blut" haben´s gesagt, weil sie dort so viel gerauft haben. Da sind die Leute von der Bahn heruntergekommen. Der Magenbauer, wo dann das Volkshaus war. Und ein Kino. Das war was. Das einzige Vergnügen war das Kino. Das hat´s schon gegeben, wie ich noch ein Bub war.

Mit den Russen Karten gespielt
Die Russen waren hier in diesem Haus, in der Wientalstraße 54.. Draußen haben sie so Gulaschkanonen gehabt. Die haben die Schweindln geschlachtet, nur den Darm herausgegeben und die Schweindln geräuchert. Aber die haben keine Innereien gegessen. Das Herz, die Leber, das haben sie uns geschenkt. Ich habe schon nicht mehr gewusst, was: eine geröstete Leber, eine saure Leber, eine gebackene Leber. Jeden Tag haben wir eine Leber gekriegt. Jeden Tag haben die gekocht. Am Anfang sind sie mit der Pistole hereingekommen, haben sie mir angesetzt und gesagt: "Du Soldat, Du Soldat." "Na, nix, ich zivil." Am Abend haben wir schon miteinander Karten gespielt. Schnapsen haben sie alle können. Wir haben uns gut verstanden mit den Russen.

Nach dem Krieg
Ich habe mir dann eine Arbeit in Purkersdorf gesucht. Im 50er Jahr habe ich die Meisterprüfung gemacht. Dazwischen, im 46er Jahr, habe ich geheiratet, weil ein kleines Butzerl unterwegs war. Vier Kinder haben wir gehabt. Die sind alle in Purkersdorf, eine in Preßbaum. Ich habe bis zur Pensionierung als Mechaniker weitergearbeitet. Bei verschiedenen kleinen Firmen. So habe ich mich halt durchgeschlagen. Mit Punkt 60 bin ich in Pension gegangen.

Die Postsiedlung
Wenn Sie durch die Postsiedlung gehen und schauen: die kleinen Duckhäuser, dass sind die alten Häuser. Früher haben sie kleine Häuser gebaut: Vorzimmer, Küche und Zimmer. Die Postsiedlung waren nur Postler. Die haben die Postler gegründet. Und bis zum Jahre 28 haben die Postler nicht verkaufen können. Wir waren die ersten, die nicht Postler waren. Rundherum lauter Postler. Früher ist der Bäcker in die Siedlung gekommen. Mit dem Radl und Bucklkorb. Er hat die ganze Siedlung mit Brot und Milch versorgt. Obwohl wir zwei Greissler in der Siedlung gehabt haben! Nach dem Krieg hat das Greisslersterben angefangen.

Die "Wien": Baden ...
Drunten in der "Wien" war es früher schön zum Baden. Schönen Wasser. Wir haben uns immer Schwellen gebaut. Einen dreiviertel Meter haben wir die Wien aufgestaut. Jetzt kannst du in der "Wien" nicht mehr baden. Das ist ein totes Wasser, das von der Kläranlage runterkommt.

... und fischen
Die Natur hat sich verändert. Mein Bruder hat in der "Wien" hinter die Steine gegriffen und große Weißfische gefangen. Die haben wir natürlich gebraten. Weißfische, Grundler, Elritzen, sogar kleine Krebserl im Dambachtal - die sind alle verschwunden. Einmal haben wir sogar einen Karpfen gefangen. Der ist vom Wienerwaldsee runtergekommen. Die kleineren Fische hat der Vater zusammengehackt für die Hendln. Das war ein gutes Futter. Jetzt haben wir Enten. Aber heute kümmert sich niemand um die. Früher ist der Neunteufel gekommen und hat sie geschossen. Früher war da auch eine Quelle. Eiskalt. Die ist verschwunden."


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