Purkersdorf Online

Zum Thema Türkei und Europa


"Lassen wir uns nicht gegeneinander ausspielen!"

Über Politik schreiben, fast wie überall, vor allem die Männer im Puon-Forum. Aufgrund von Bundesheer -Erlebnissen und -Bekanntschaften ein Land zu beurteilen (egal welches) finde ich sehr eigenartig. Außerdem: die türkischen Soldaten am Balkan waren eine ausgewählte Truppe. Genau wie die nach Kurdistan geschickten. Die können die Durchschnitts-Türken so viel repräsentieren wie ein Sonderkommando in Österreich die Durchschnittsbürger hier.

Nummer 1: In der Türkei gibt es die Möglichkeit sich vom Militärdienst frei zu kaufen: Das heißt: Die Männer die einen Brocken von Antimilitarismus im Kopf haben, machen alles um sich frei kaufen zu dürfen. Nummer 2: In der Türkei sitzen viele Männer im Gefängnis weil sie den Militärdienst verweigerten. Kurz gesagt, es wundert mich sehr, dass Leute sich wagen auf Grund von ein paar Bekanntschaften im Militärdienst, ein Land zu verurteilen.

Ich würde gerne jetzt ein Beispiel erzählen: Eine gute Bekannte kam letzte Woche in den Bioladen und sagte mir "Ich muss unbedingt mit dir nach Istanbul kommen. Ich habe gestern die Dokumentation über Istanbul im ARTE gesehen. Ich habe immer gedacht, dass du was besonderes bist (Solchen Aussagen glaube ich immer gern, weil es meinem verletzten EGO in Österreich sehr gut tut ), aber nach dem ich diese DOKU gesehen habe, verstehe ich, warum du so verliebt in deine Heimat bist. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es dort Millionen gut ausgebildeter Frauen gibt. Außerdem habe ich eine Frage: wie die Engländer letztes Jahrhundert den Abschaum der englischen Gesellschaft nach Australien geschickt haben, machen es jetzt die Türken mit uns? *) Was ich bei Arte gesehen habe ist wie New York." Ja !!! Die Freundin war sehr überrascht. Weil das, was sie gesehen hat, auch Türkei ist. Genau so wie jede Weltmetropole, eine Wahnsinns-Stadt. Im positiven und negativen Sinn. Wir dürfen außerdem nicht vergessen: Die Türkei hat über 72 Millionen Bewohner. 10 x so viel wie Österreich. Das heißt 10 mal mehr Faschisten,10 mal mehr Kriminelle,10 mal mehr Fundamentalisten,10 mal mehr Unmöglichkeiten, aber auch 10 mal mehr GUTE MENSCHEN.

Die Wirtschaft interessiert meine gute Menschen leider überhaupt nicht. Es heißt für die Wirtschaft einen Riesenmarkt, 10 mal größer als Österreich. Außerdem: Über 400 Millionen Menschen auf der Welt verständigen sich auf Turk-Sprachen in Turkmenistan, Aserbaidschan, die sogenannte frühere Türkische Sowjetunion und Teile des Iraks, Irans, Afghanistans, Mongolei usw. Das heißt für die Wirtschaft ein 400 Millionen-Menschen-Markt. Die besten Universitäten und Schulen aller türkischsprachigen Gebiete befinden sich in der Türkei. Das bedeutet, die Wirtschaft bekommt gut ausgebildete Kräfte für diese Märkte am ehesten aus der Türkei. Die USA hat in den 50er Jahren die ersten Vorarbeiten geleistet, um diesen riesigen Markt zu erobern. Ab 1951 haben die Amerikaner mit Vollgas durchgestartet. Mit Landstraßen und Autobahnbau, Autofabriken wurde die Wirtschaft stark erdölabhängig. Es ist sehr schnell gegangen. Dann kamen massenhaft die Privatuniversitäten und Privatschulen. Das hat zwei Aspekte gehabt: 1. englisch sprechende gut ausgebildete Kräfte. 2. Türkei hat seit 100 Jahren Missionsschulen (St. Georg Kolleg in Istanbul ist die österreichische). Englische, italienische, deutsche, französische und spanische Schulen. Die sind alles Eliteschulen, die 6.000 bis 9.000 Dollar im Jahr kosten. Von diesen Schulen kommen die zukünftigen Akademiker, höhere Beamten usw. raus. Das heißt, seit mindestens 100 Jahren sind die Intellektuellen und Akademiker der Türkei von westlichen Pädagogen ausgebildet und geprägt. Auch während den 80 Jahren der Türkischen Republik hat sich die Türkei sehr stark an den Westen orientiert. Ab den 50er-Jahren hat sich die so dominante europäische Richtung mehr und mehr amerikanisiert. (Ob es im Europa anders ist?). Die heutige junge leitende Generation in der Türkei besteht aus einer Elite von europäischen oder amerikanischen Pädagogen ausgebildeten Menschen mit dem entsprechenden Weltbild.

Zum Teil finde ich die Diskussionen über Türkei im EU lächerlich. In der Türkei herrscht ein Markt- und Machtkampf zwischen amerikanisch und europäisch Orientierten. Außerhalb der Türkei ist es auch ein Markt- und Machtkampf. Viele österreichische Politiker schreien sehr klar und deutlich gegen die Türkei, weil es ihnen um die Macht am Balkan geht. Österreich hat auch eine alte Tradition am Balkan: Österreicher als alte Herrscher (Habsburger und Co) mit besonderer Kontrolle und Machtmechanismen im Balkan (Sonder Status Kroatien). Klar, das will man behalten und erweitern. Die Türkei hat aber ungefähr die selben Traditionen und Verbundenheiten wie Österreich am Balkan. Ethnische Gruppen, sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten usw. 400 Jahre osmanische Herrschaft sind nicht ohne Spuren verschwunden, oder?

Es muss endlich jeder mit dieser blöden Gastarbeiter-Angstmacherei und dem rassistischen Wiederkäuen aufhören. Es geht nicht darum ob so und so viel Gastarbeiter mehr oder weniger nach Österreich kommen oder gehen. Falls manche noch immer eine, über Generationen von den Türkenbelagerungen kommende Angst haben, kann man nur Angst- und Traumaexperten zu Hilfe rufen. Es geht um eine neue Weltordnung und Marktaufteilung. Es geht nicht darum, was die türkischen Menschen wollen oder brauchen, es geht darum billig zu produzieren, noch mehr Menschen- und Naturblut zu saugen. Es geht um wildesten Kapitalismus und Neoliberalismus. Es geht nicht um Demokratie (so und so nur die bürgerliche Demokratie) und Ethik und Menschenrechte oder kulturelle Unterschiede. Sonst, bitte schön, soll mir jemand erklären, warum Österreich Kroatien viel mehr EU-"WÜRDIGER" als die Türkei findet. Vor kurzen haben sich diese Herrschaften in Ex-Jugoslawien gegenseitig umgebracht. Welche Demokratiekultur ist das, was die österreichischen Politikern uns da erzählen? Die letzten 50 Jahre sehr stark serbisch gefärbte Diktatur oder über 10 Jahre Krieg hat Kroatien demokratisch gemacht? Jüngst im „Standard": EU-Diplomaten: Österreich legt Latte höher - Gusenbauer unterstützt Schüssel." Haben die Herrschaften so eine Angst von noch ein paar Gastarbeitern oder geht es da in Wirklichkeit um was anderes? Ich glaube: um einen viel größeren Machtkampf. Wer wird die Zügel im Balkan in der Hand haben. Habsburger und Osmanen waren auch, wenn es passte, die beste Freunde, obwohl die beiden genügend Kämpfe und Kriege geführt haben. Wir alle müssen die Augen öffnen, bevor die Herrschaften uns noch einmal gegen einander wie die Blöden hetzen. Die aktuelle Regierung der Türkei fühlt sich nicht als Nachfolger der Türkischen Republik, sondern als nach Nachfolger des osmanischen Reichs. Wenn die EU-Politiker demokratieliebend (natürlich nicht Basisdemokratie, aber das erwarten wir sowieso nicht – die eigenen demokratischen Regeln beherzigen, wäre für die Herrschaften wie Tony Blair schon ein Wunder) sind, warum akzeptieren die überhaupt, mit einer Regierung zu sprechen, die fast offiziell deklariert hat, dass sie Scheindemokraten sind. Wo sind die Herrschaften, wenn die Mütter von politischen Gefangenen vor dem Parlament von Offizieren geschlagen werden. Wo sind die überhaupt, wenn Menschen täglich mit den Waffen umgebracht werden. Warum regt sich niemand auf, wenn Deutschland denen Panzer verkauft? Was machen die Engländer im Irak? Wollen die die Kolonialzeit wieder haben, unter einem anderen Namen? Was haben die Franzosen im Algier gemacht, wie ist der Alltag für arme Afrikaner in Frankreich oder warum flüchten Indische Universitätsprofessoren mehr oder weniger aus London? Warum gibts noch immer Kolonien von diesen Ländern? Wenn alle diese blutige Hände, wie die Demokratieaposteln herum spazieren, und nicht einmal in ihren eigenen Ländern der eigenen Bevölkerung ein würdiges Leben ermöglichen, ekelt es mich. Viele der EU-Politiker haben kein Recht irgend einen anderen Menschen über Menschlichkeit oder Demokratie einen Rat zu geben. Ein symbolisches Beispiel ist auch: (Um des Geldes willen wurden im Portugal tausende von 100 Jahre alten Olivenbäume vernichtet. Der Olivenzweig ist das Friedens Symbol überall oder?)

Ich bin ein Türkin und ich will nicht das mein Land EU gehört. Denn jedenfalls in den letzten Jahren ist die EU ist nicht mehr ein Gemeinschaft, sondern wenn mann drinnen ist, gehört mann diese Kriegs-Blutsaugern an und no way out. Als Idee war die EU eine schöne Idee. Bis vor 10 Jahren habe ich die Idee sehr gut gefunden.ch komme aus einem Land, in dem auch manche kleinste Städte, sehr große OLOF PALME - Denkmale haben. Ja wirklich Olof Palme . Ich kenne nicht einmal in Wien ein kleines Denkmal , das uns an Olof Palme erinnern kann. Er war nicht mein politisches Idol, aber er war eine von den seltenen Politikern, die auch gute Menschen waren. Es gibt in der Türkei genügend Menschen, die Olof Palme nicht vergessen haben und genügend Menschen in der Türkei haben auch nicht vergessen warum er umgebracht wurde. Wer von den Sozialisten in Wien und Niederösterreich erinnert sich noch daran, wer "Olof Palme" war. Viele einfache Menschen erinnern sich, was Olof Palme als Sozialist in der Türkei oder wo anderes auf der Welt symbolisiert hat. Wissen die EU-Politikern noch immer auf welchen Ideen EU gegründet wurde? Das ist noch nicht alles, als Herr Simon Wiesenthal gestorben ist, haben meine Freunde aus der Türkei und unser Bürgermeister aus Dikili mir Mitleid-e-mails gesendet, kein österreichische Freund oder Freundin darüber ein einziges Wort gesagt. Die Leute, denen ich meine Betroffenheit erzählen wollten, haben mich komisch angeschaut. So eine EU interessiert mich nicht. Nicht eigene kulturelle Werte und das Erbe mit Gefühl behandeln können, und nach zwei Wörter in den Nachrichten zurück zu 100 Stunden Werbung und Jammersendungen. So eine EU will ich nicht. Liebe Grüße auch an Herrn Gusenbauer: Ich bin kein Sozialist aber ich kann noch immer österreichische Arbeiterlieder auf österreichisch und türkisch singen. Nicht nur ich kenne genügend türkische Menschen, die österreichische Arbeiterlieder auf Türkisch singen können. Was ist mit ihm: kann er noch irgend eine auf eine beliebigste Sprache? Wenn Gusenbauer die Text noch kennt, versteht er deren Sinn noch? Ich bin noch nicht sehr alt und auch keine Nostalgikerin, aber ich habe die internationalen und alle österreichischen Arbeiterlieder von Mama auf Türkisch zuerst gelernt, und als ich nach Wien gekommen bin, wollte ich die österreichischen mit Freude lernen, leider erinnert sich fast niemand außer ein paar alten Sozialisten, was für eine würdevolle Arbeiterbewegung es einmal gab. Nichtg mehr gern erinnert will man an die Sozialrechte werden, die die jetzige Regierung Tag für Tag beschneidet, und die mit Blut gewonnen worden sind. Wie viele Menschen interessiert der Friede auf der Erde oder warum die Menschen in Karl-Marxhof gestorben sind?

Nach Istanbul und Purkersdorf heißt meine dritte Heimat Dikili. Es liegt an der nördlichen Ägäis-Küste gegenüber der griechischen Insel Lesbos. Dikili ist sicher nicht die Insel der Seligen, aber wir haben (wie überall auf der Erde) noch immer genügend gute Menschen mit der Hoffnung in Dikili und auf Lesbos ein Friedensfestival zu feiern. Unsere Kinder besuchen die griechischen Nachbarn für 2 Wochen im Sommer und unsere LIEBEN Nachbarnbesuchen uns auch für 2 Wochen. Das heißt, die Kinder von beiden Kulturen leben ca.4 Wochen zusammen und das bezahlt unsere kleine Gemeinde und unsere Nachbargemeinde Lesbos. Unsere Kinder zelten unter den Olivenbäumen am Meer und leben und spielen gemeinsam. Ist ein besseres Friedenserziehungsprojekt denkbar?. Manche von unseren KünstlerInnen und PolitikerInnen besuchen unser Nachbarn und lernen griechisch. Wir singen griechische und türkische Lieder zusammen. Wir rufen unsere Nachbarn genau wie unser Bürgermeister Osman Özgüven in seine Reden alle MitbewohnerInnen von Dikili gerufen hat : "DOSTLAR" (Echte Freunde). Wir laden Menschen aus Palästina und Israel, aus Bosnien und Serbien ein, weil wir noch immer ein bessere Zukunft für alle ErdenbewohnerInnen als das jetzige Europa wünschen und daran auch glauben. Weil viele von uns wissen, dass Frieden nicht durch „freie Wirtschaft“ oder durch Gewalt kommt, sondern - wie einmal Andre Heller so schön geschrieben und gesungen hat – der Friede kommt nicht von irgend wo, er kommt nur, wenn wir ihn tun und er bleibt nur, wenn wir die Gewalt immer in den Seelen ruhen lassen. Ich wünsche, dass auch das ganze Europa und überhaupt unser Welt eine bessere Zukunft als die jetzige Macht- und Gier-Komödie-Tragödie.

Obwohl heutzutage kein öffentliches Thema mehr, die Türkei ist auch NATO-Mitglied. Leider haben die Menschen, die wie ich denken, keinen großen Einfluss in dem Sinn, dass wir diese Schande beenden dürften. Die NATO-Mitgliedschaft hat bis jetzt außer unmögliche Kosten und genügend Tote in Korea und Irak gar nichts gebracht. Ich finde es von den Politikern auch lächerlich, das die Herrschaften in der NATO seit ewigen Zeiten mit der Türkei arbeiten und jetzt beim Thema EU plötzlich die Türkei ist nicht würdig ist. Ist das vielleicht ein Witz? Das nenne ich Doppelstandart sondergleichen. Wie vorher gesagt, ich will nicht, dass die Türkei zur jetzigen EU gehört, alle MitbewohnerInnen von Europa (und unserer Erde) haben längst was Besseres verdient, aber trotzdem ich finde es eine gute Möglichkeit darüber zu diskutieren, um die wahre Gesichter der Herrschenden zu zeigen.

Mag. Emel Hackermüller


*) Die Bemerkung ueber Australien, das vom Abschaum der Englaender besiedelt wurde, ist ziemlich daneben gegriffen. War eine hungernde Mutter Abschaum, weil sie einen Silberloeffel gestohlen hat, um essen zu koennen. Als Strafe wurde sie nach Australien geschickt. Der einzige wirkliche Abschaum waren die Mitglieder der engl. Aristokratie, die von ihren Familien nach Australien geschickt worden waren, weil sie zu Hause unmoeglich waren. Ja, die meisten Tuerken, denen wir in Oesterreich begegnen sind aus aermlichen Verhaeltnissen, mit null Ausbildung, etc. Ihr einziger Halt ist eine Phantasiekultur, die sich scharf von den Oesterreichern abgrenzt. Islam im Moment gibt den Schwachen ploetzlich ein Gefuehl der Macht. Diesem Machtgefuehl setzt der “Westen” Arroganz entgegen, da er erkennt, dass es sich um ein Gefuehl der Unterlegenheit handelt. Und dann beginnt die Spirale der Gewalt.

Mechthild Guha
 

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Letzte Änderung: 2005-10-18 - Stichwort - Sitemap