Purkersdorf Online

Bahn: Streik, Reformen, Zukunft, Privatisierung


Rundbrief J. Baum 2003-11-16

Überblick:

  1. Solidarität bremste die Regierung ein
  2. Jetzt "große Koalition" für wirkliche Verkehrs-Reformen notwendig
  3. Ein kurzer Blick in die Zukunft: Kalifornien: Keine Öffis, Autosteuer ex, gewerkschaftsfreie Konzerne, Klassenkämpfe
  4. "Bürgerbahn statt Börsenbahn": Zur Bahnprivatisierung in anderen Ländern

Zum Ende des ÖBB-Streiks:

1. Solidarität bremste die Regierung ein

Für die EisenbahnerInnen ist es zweifellos ein nicht zu überschätzender (Teil)Erfolg. Sie haben den Thatcher-Typen um Schüssel erfolgreich die Stirn geboten, die hier ihr Zerstörungswerk bei den Arbeits- und Sozialrecht mit der Brechstange durchziehen wollten.

Dieser Erfolg ist umso wichtiger, als der Möchtegern-Napoleon und seine Leute sich ja bis zuletzt gegen jeden Kompromiss mit aller Macht wehrten und zusammen mit ihren Helfershelfern in den Medien die Eisenbahnergewerkschaft zur bedingungslosen Aufgabe zwingen wollten. Doch sie fuhren selbst unsanft auf den Prellbock der breiten Solidarität. Es gab nicht zuletzt deshalb auch interne Umfragen, die der Regierung zeigten, dass ihr Werk sehr unpopulär war.

Höchstpensionen gesichert haben und selbst mit Chauffeuren in flotten Dienstwagen unterwegs sind, sind janicht sehr glaubwürdig, noch dazu als sie gleichzeitig Unternehmen wie die Post durch Frühpensionierungen für die Privatisierung tauglich machen. Ihr Versuch der Entsolidarisierung ist vorerst gescheitert. Außerdem hätte der Verfassungsgerichtshof mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso die se "Reform" beim Diktat von Verträgen aufgehoben. - Das Umdenken bei der Regierung wurde schließlich indirekt durch den Druck der Unternehmer erreicht, die durch Profiteinbussen nicht die Betroffenen der sturen Kopfschüsselpolitik sein wollten.

Meiner Meinung nach wäre daher bei einer Fortsetzung des Streiks wahrscheinlich noch mehr zu erreichen gewesen. Aber ein Teilerfolg ist auch was.

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2. Jetzt "große Koalition" für wirkliche Verkehrs-Reformen notwendig

Andererseits ist das Kompromissresultat verkehrspolitisch ein Rückschlag. Die Zerstückelung der ÖBB in dieser Form ist auch nach letzter Meinung des Rechnungshofes ein Nonsens. Die Privatisierung der Busse wurde nicht gestoppt. Aber es ist nicht aller Tage Abend. Und eine breite Koalition von Besorgten kann nun jede Maßnahme der Regierung wieder mit Aktionen beantworten. Von Oppositionsparteien würde ich mir erwarten, dass sie das sofortige Ende dieser "Reform" beim Aus dieser Regierung zusagen, damit sich alle darauf einstellen können.

Die Eisenbahner haben gezeigt, dass der Erfolg nicht in einer trügerischen "Sozialpartnerschaft", sondern, sondern im gemeinsamen und solidarischen Auftreten liegt: Wir haben jedenfalls Luft gewonnen für eine "große Koalition" für notwendige ökologische und soziale Reformen beim öffentlichen Verkehr. Eine offensive Verkehrspolitik ist angesichts des spektakulären Scheiterns dieser Regierung (und auch der früheren) beim Transit und der eigenen Frächterlobby notwendig.

"Neutralität" bei Teilen der Opposition?

Teile der Opposition haben sich beim ÖBB- Streik übrigens auffällig zurückgehalten; ich hatte den Eindruck bei Gusenbauer und Van der Bellen, dass sie sich einmal abwarten wollten, ob das gut geht; anstatt klar und deutlich Partei zu ergreifen.

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3. Ein kurzer Blick in die Zukunft: Kalifornien: Keine Öffis, Autosteuer ex, gewerkschaftsfreie Konzerne, Klassenkämpfe

Zur Zeit blicken diverse Adabeis stolz nach Kalifornien: In Kalifornien sind die öffentlichen Verkehrsmittel schon weitgehendst zerstört. Und nun will einer mit "Krouft und Dissiplin" den Staatshaushalt durch die Abschaffung der Autosteuer sanieren. Dazu wird nicht nun ein bescheidenes Fest mit 7500 geladenen Gästen gefeiert.

Aber auch in Kalifornien gibt es derzeit was anderes; nämlich einen erbitterten Klassenkampf:
Die Handelsbeschäftigten von drei großen Ketten streiken in Südkalifornien dafür, dass Safeway ihre Krankenversicherung nicht einfach abschafft und dies dann - wie angekündigt - in den ganzen USA macht. Durch weitere Aussperrungen sind nun seit 11. Oktober (!!) 70000 von über 700 Großmärkten im Arbeitskampf. - Der Hintergrund: Der Handelsriese Walmart mit über einer Million Beschäftigten, das grösste Unternehmen der Welt, ist durch brutale Maßnahmen "gewerkschaftsfrei" (Da läuft Schüssel und Co wahrscheinlich das Wasser im Mund zusammen), zahlt daher wesentliche niedrigere Löhne als die Konkurrenz und expandiert enorm weltweit. (Walmart ist eine Art Mischung von Hofer und Billa). Die Konkurrenten von Walmart glauben nun, dass Sozialabbau das Rezept dagegen ist.

Da Ganze zeigt irgendwie den internationalen Gleichklang und, dass auch bei uns die Entwicklung dahin geht, und die Frage wahrscheinlich immer öfter steht: Kämpfen oder Kapitulieren?
Die internationale Vernetzung der alternativen Kräfte wird immer wichtiger...


Übrigens wegen international:
In Paris ging das europäische Sozialform mit zig-tausenden TeilnehmerInnen zu Ende...
Weitere Infos demnächst unter:

www.socialforum.at

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4. "Bürgerbahn statt Börsenbahn": Zur Bahnprivatisierung in anderen Ländern

Der Verkehrs- und Eisenbahnexperte Winfried Wolf schickt folgende Solidaritätserklärung an die streikenden österreichischen EisenbahnerInnen. Er ist bekannt u.a.von der ATTACademie in Steinach/ Tirol im Sommer des letzten Jahres und dem österreichischen Social Forum in Hallein, Verfasser zahlreicher ökonomischer und politischer Bücher, insbesondere zum Verkehrswesen; Winni ist Ex-Abgeordneter zum deutschen Bundestag:
An die
Gewerkschaft der Eisenbahner
in Österreich

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

ich solidarisiere mich mit Eueren Aktionen gegen die Zerschlagung und Privatisierung der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und wünsche Euch von ganzem Herzen einen langen Atem und Erfolg.

Seit Ende der achtziger Jahre erleben wir einen beispiellosen Prozess der Bahnprivatisierungen. Er begann in Japan, setzte sich in Großbritannien fort und konkretisiert sich zur Zeit in meinem Land, der Bundesrepublik Deutschland mit dem angestrebten Börsengang der Deutschen Bahn AG für 2005/2006.
Bei allen von den Privatisierungen betroffenen Bahngesellschaften gibt es die folgenden zerstörerischen Gemeinsamkeiten:

  • Der Marktanteil der Schiene sinkt gerade auch bei den Bahnen auf Privatisierungskurs weiter und z.Tl. beschleunigt.
  • Es kommt insbesondere zu einem forcierten Abbau der Bahn in der Fläche mit dem unhaltbaren Argument, nur die Hauptsstrecken würden "sich rechnen" - doch genau dies steigert den Ausblutungsprozess, so wie das Abschneiden der Äste an einem Baum auch den Hauptstamm zum Verdorren bringt.
  • Die Investitionen konzentrieren sich immer mehr auf die Hauptsstrecken, womit die Argumente für das Sterben der Nebenstrecken "geliefert" werden
  • die Bahnhöfe werden immer mehr zu Konsumtempeln umgebaut, wobei ihre Funktion für die Schiene zur Nebensache wird.
  • die Subventionen des Staats steigen gerade bei den privatisierten Bahnen weiter an (siehe insbesondere Großbritannien) - was exakt das Gegenteil dessen ist, was gesagt wird, um die Bahnprivatisierung in der Öffentlichkeit zu begründen.
  • Es kommt zu einem umfassenden Prozess der Zerschlagung, Zergliederung, des Outsourcens. Damit wächst der Wasserkopf und die Bürokratie und es werden Synergieeffekte zunichte gemacht.
Ihr erlebt in Österreich derzeit den Einstieg in das, was hierzulande (in der BRD) euphemistisch "Bahnreform" genannt wurde und was sich immer mehr als klarer Weg an die Börse und in ein grosses Spekulationsgeschäft mit Bahngelände entpuppt. Während 1994 noch die überwältigende Mehrheit der Bundesdeutschen positiv der "Bahnreform" gegenüberstand, hat die Bahn heute das schlechteste Image unter allen BRD-Großunternehmen; Bahnchef Mehdorn erhält unter allen wichtigen Top-Managern die miesesten Werte. Das neue Bahnpreis-System, das im Dezember 2002 unter Verweis auf die zukünftige Bahn an der Börse eingeführt wurde, erwies sich als Desaster und brachte den Verlust von Millionen Fahrgästen.

Die Bahnen im Privatisierungskurs befinden sich auf rasanter Fahrt in Richtung Prellbock. Am Ende haben wir eine Schrumpfbahn und eine Bahn für wenige (Manager, Bürokraten, Politiker, Geschäftsreisende). Was wir jedoch benötigen, ist eine Bahn für alle, ist eine Flächenbahn, ist eine Bürgerbahn. Dies ist insbesondere in der gegenwärtigen Zeit wichtig, in der alle von Umweltzerstörung und drohender Klimakatastrophe reden und die offizielle Politik dennoch ausgerechnet diejenigen Transportarten fördert, die im besonderen Maß umwelt- und klimazerstörerisch wirken und umgekehrt die einigermassen umweltfreundliche Schiene schwächen und den Bahngesellschaften zu zerschlagen versuchen.

Wenn einer aus unserer Gruppe "Bürgerbahn statt Börsenbahn" Euch konkret helfen kann (Vorträge, Seminare, Auftreten auf Versammlungen usw.), dann lasst es uns wissen.

Solidarische und kollegiale Grüsse

Winfried Wolf
Sprecher der Gruppe "Bürgerbahn statt Börsenbahn"
von 1994 bis 2002 Abgeordneter des Deutschen Bundestages
Autor u.a. von "Eisenbahn und Autowahn"


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Letzte Änderung: 2003-11-17 - Stichwort - Sitemap