Purkersdorf Online

Die Kraft der Solidarität


Interview mit JOSEF BAUM von MANFRED BAUER

Der Kapitalismus hat die Eingriffe in die Natur globalisiert. Josef Baum im Gespräch.

Als Autor einer Studie über die Hochwasserereignisse 1997 in Niederösterreich bist du schon seit längerem mit der Problematik konfrontiert. Wie hast du die jüngste Katastrophe erlebt?
Ich habe das Hochwasser im Waldviertel selbst erlebt, habe Sandsäcke gefüllt und mich wie im Katastrophenfilm gefühlt: Sirenen, Alarmleuchten, Ausfall von Telefon, Handy, Wasser usw. Für diese Region muss man jedenfalls sagen, dass 20 cm Wasser Regen pro Tag einfach nicht verkraftet werden. Ich bin mir nicht sicher, ob es ganz exakt ist, was Landesexperten festgestellt haben, nämlich dass in dieser Region diese Regenmenge ein "2000jährliches Ereignis" war. Aber es deutet die Größenordnung an.
Ich habe in einer Studie 1997 die damaligen Hochwasserereignisse in Niederösterreich analysiert und bin zur Ansicht gekommen, dass bei diesen Hochwässern der Anteil von lokalen und regionalen Eingriffen in die Natur, wie Flussverengung, laufende Verluste von Versickerungsflächen, Bodenversiegelung und Bodenverdichtung usw. sehr hoch war. Bei den jetzigen Ereignissen muss man sagen, dass der Faktor der Eingriffe in Flüsse, Bodenbearbeitung usw., und auch der Wasserschutzbau insofern weniger entscheidend war, als hier mit größter Wahrscheinlichkeit die Folgewirkung des menschlich beschleunigten Klimawandels der wesentliche Faktor war.

Das heißt, dass dich das Hochwasser nicht wirklich überrascht hat?
Grundsätzlich hat es mich nicht überrascht. Seit über zehn Jahren sagen Klimaexperten voraus, dass sich bei der beschleunigten Erwärmung und dadurch bewirkten steigenden Verdunstungskapazität auch in unseren Breiten Witterungsextremereignisse verstärken. Natürlich ist es auch möglich, dass nun 2000 Jahre so ein Ereignis nicht wieder kommt; es ist sogar möglich, dass das Wetter insgesamt trotz Klimaveränderung im wesentlichen bleibt, wie es ist, aber dies ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass dies nur der Anfang ist, wahrscheinlich ist, dass es Folgewirkungen gibt, die wir heute noch gar nicht richtig abschätzen können. Insbesondere die Alpen, in denen überdurchschnittliche Erwärmungen auftreten, sind übermäßig gefährdet, da viele Dinge durch veränderte Temperaturen und Wasserführungen buchstäblich leichter ins Rutschen kommen. So war z. B. die Geschichte von Lassing zwar einerseits durch direkten Raubbau bedingt, andererseits wird vermutet, dass hier der Klimawandel durch veränderte Wasserführung ebenfalls ein wesentlicher Faktor war.

Welche Schlussfolgerungen für die Klimapolitik sind deiner Einschätzung nach aus der dieser Hochwasser-Katastrophe und anderen globalen Katastrophen, deren Dimension wesentlich schrecklicher sind, zu ziehen?
Die Hauptkonsequenz muss eine radikale Klimapolitik sein. Derzeit gibt es allerdings weder eine radikale noch überhaupt eine Klimapolitik. Es wird darauf ankommen, ob die Profiteure des bisherigen Raubbaus an der Natur zur Kasse gebeten werden oder "Unschuldige". Die Klimapolitik ist jedoch auf Jahrzehnte angelegt und niemand weiß, ob überhaupt in absehbarer Zeit ein besonderer Erfolg dabei möglich ist. Doch angesichts der dramatischen Folgewirkungen der weiteren beschleunigten Erwärmung ist dies eine Notwendigkeit. Im 20. Jahrhundert gab es eine Erwärmung von ein Grad, für das 21. Jahrhundert ist eine Erwärmung von vier bis fünf Grad prognostiziert. Das ist innerhalb relativ kurzer Zeit einfach dramatisch.
Relativ neu ist nur, dass das innerhalb der Wissenschaft praktisch nicht mehr bestritten wird.

Das heißt, eine Änderung der Klimapolitik müsste auf globaler Ebene erfolgen?
Ja, denn das Problem ist global. Die jüngsten Ereignisse rufen ins Bewusstsein, dass in anderen Teilen der Welt Überschwemmungen viel größeren Ausmaßes schon seit langem und verstärkt in den letzten Jahren anzutreffen sind: in China, Bangladesh oder Malawi gibt es da hundertfach mehr Tote. In diesem Sinne globalisieren sich die Folgen der Klimaveränderung also auch.

Was bedeutet das für die lokale Ebene, etwa für Österreichs Gemeinden?
Wir haben in Österreich eine Situation, dass wir nur für eine Minderheit der Gemeinden Gefahrenzonenpläne haben, wo gelbe und rote Flächen ausgewiesen werden. Wo wir sie haben, werden sie oft nur sehr nachlässig angewendet - das hängt wieder mit den Landpreisen und letztlich mit den Eigentumsverhältnissen zusammen. Und selbst dort, wo die Bebauung sich daran hält, bietet die rasante Klimaveränderung keine Sicherheit mehr. Es ist also viel zu tun.

Wie ist das Ganze jenseits der Katastrophenbetroffenheit im sozialen Zusammenhang einzuordnen?
Die Hochwassergeschichte ist ein komplexer Sachverhalt. Da spielen sehr viele Faktoren zusammen. Der "Schaden" ist nur das Endprodukt. Etwas theoretischer betrachtet kann man sagen, dass das Handeln beim Menschen "hoch vergesellschaftet" ist, aber durch Nichtbeachtung der großen Zusammenhänge dann Ereignisse eintreten, mit denen man nicht rechnet: "Vergesellschaftung der Arbeit" und "private Aneignung der Schäden".
Die unüberlegten Eingriffe in die Natur sind dabei nicht nur typisch für den Kapitalismus, sie kamen auch in vorkapitalistischen und nichtkapitalistischen Gesellschaften massiv vor. Der Kapitalismus hat diese Eingriffe aber globalisiert. Marx sprach von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und von der "Ausbeutung der Natur". Diese "Ausbeutung der Natur" ist Raubbau an den zukünftigen Grundlagen der Menschheit.

Ist diesbezüglich eine Wende absehbar?
Nüchtern betrachtet ist bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen keine wirkliche Änderung absehbar. Nehmen wir nur die riesige Macht des Öl- und Autoindustriekapitals. Dieses ist bekanntlich der Hauptprofiteur der Klimaveränderung. Nüchtern betrachtet wird es erst eine Umorientierung geben, wenn die Basisbewegungen das Kapital zu einer Wende zwingen oder die Katastrophen so groß werden, dass die Kapitalverwertung einfach nicht mehr so weitergehen kann. Ich habe mich auch deswegen vor fünf Jahren mit diesen Dingen beschäftigt, weil ich glaube, dass die Menschen genau aus solchen existenziellen Erlebnissen lernen oder lernen sollten. Insofern sehe ich einen positiven Wandel. Allerdings wird dieser Effekt nicht lange anhalten, befürchte ich.
Anderseits rufen solche Ereignisse jenseits aller Betonung des einzelnen Profitdenkens wieder die Bestimmung des Menschen als gesellschaftliches Wesen in Erinnerung bzw. ganz einfach ausgedrückt: mensch spürt wieder die Kraft der Solidarität und der massenhaften Unterstützung.

Volksstimme Nr. 36/2002
2002-09-05

Siehe auch: Josef Baum: Hochwasserstudie 97 (Winword, 230k)


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