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Michael Huber sagt am 17.10.2001 11:07 h zu Martin:Erster Beitrag

Re: NS-Entschädigung


Ich fühle mich heute noch schuldig, dass "meine" Vorfahren im 2. Weltkrieg Millionen von Kindern, Frauen, Männer, MENSCHEN unterschiedlicher Rasse, Religion oder Gesinnung unschuldig gefoltert, vergewaltigt, mißbraucht, getötet, gehängt, zerschnitten, vergast, erschossen, verbrannt und ermordet wurden.
Ich fühle mich schuldig nicht weil ich dabei war, sondern weil wir als "Nation Österreich" uns nie zu diesem Kapitel unserer Geschichte bekannt haben. Ich zähle mich zu dieser "Nation Österreich" daher trifft auch mich diese "Gesamtschuld".
Wir haben uns nie dafür entschuldigt, dass wir Mörder waren. Wir haben nie zugegeben, dass wir das Baby unserer Nachbarin getötet haben. Wir haben uns nie dafür entschuldigt, dass unser Nachbar im KZ als menschliches Versuchskanichen mißbracuht worden ist. Sein Leiden dass er am eigenen Leib verspürt hatte als man ihm Glasscherben eingenäht hat, war uns keine Enschuldigung wert.
Wir haben uns abgeputzt und die Schuld auf Hitler, den Zwang und auf die Deutschen abgeschoben. Nicht einmal heute wird dieses Kapitel unserer Geschichte so offen behandelt, so offen wie die Wunden für viele unserer Mitmenschen heute noch sind.
Die verdrängte Geschichte, die Ablehnung der Vergangenheitsbewältigung und das neue Aufkeimen von Fremden-, Juden und Frauenfeindlichen Stimmen vor allem in der FPÖ aber auch in der ÖVP, geben uns kein Recht zu sagen: "Wir waren ja nicht dabei". Allein die Tatsache, dass Haider trotz seines Lobes der ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich (Jobs in der Waffen- und Hinrichtungsmaschinerie)und seines Lobes der SS-Männer, heute wieder Landeshauptmann von Kärnten ist, macht uns mitschuldig an den begangenen Verbrechen.
Die minimalen Entschädigungszahlungen sind lächerlich im Vergleich zu dem Leid, das den Menschen widerfahren ist.
Solange wir nicht den Haiderischen und Schüsselschen Anfängen wehren, solange machen wir uns mitschuldig.
Ich finde es gerecht, dass wir zahlen. Ich finde es ungerecht, dass wir sowenig zahlen und ich finde es eine Schande, ja beinahe ein Verbrechen, dass die Wirtschaft, die enorm von der Ausbeutung der Zwangsarbeiter und Häftlingen profitiert hat, sich nur so gering beteiligt hat. Firmen wie Siemens... wären ohne der billigen Arbeitskraft der Zwangsarbeiter nicht da wo sie heute sind...
Steht zur Vergangenheit. Redet darüber und vergeßt sie nicht. Sie betrifft uns auch heute.
Wehret den Anfängen.
Michael
PS.: Martin, denk darüber nach was Du gesagt hast und frage Dich wie es Dir gehen würde, wenn Dir Unrecht geschehen wäre (z.B. man stiehlt Dein Auto und Du würdest von der Versicherung kein Geld bekommen). Dann vergleiche das Dir widerfahren "Unrecht" mit dem Leid und dem Unrecht das den Juden im 2. Weltkrieg angetan wurde. Du wärst sauer, weil die Versicherung Dir nicht zugesteht, dass Du recht hast und Dir für Dein entgangenes Gut kein Ersatz geleistet wird.
Was muß es für einen Juden wohl bedeuten, dass sich bei ihm weder jemand entschuldigt, noch dass ihm für sein Leid und dem ihm angetane Unrecht Ersatz geleistet wird. Für ihn entsteht unweigerlich der Eindruck, dass er ja selber verantwortlich war für sein Leid und wir die Nachbarn die sich am Unrecht gegen ihn beteiligt haben und zugeschaut haben wie er mit der Zahnbürste die Straßen reinigte, können ohne Schuldeingeständnis und Wiedergutmachung friedliche bis ans Ende unserer Tage leben.

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