Purkersdorf Online

So haben wir uns halt durchgeschlagen


Rupert Herzog-Löw
"So haben wir uns halt durchgeschlagen"
Frauen und Männer aus Purkersdorf erzählen aus ihrem Leben

Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2004.
152 Seiten. Preis: 18 €, ISBN 3 85252 490 3

Einleitung


Leseprobe:

Erwin Czernoch

Ich konnte mir die Straßenbahn nicht leisten

Der Wienerwaldsee

Aus dem Dambachtal haben sie den Lehm abgegraben und raufgeführt zum Wienerwaldsee. Damit haben sie den Damm gedichtet. Das Wasser haben sie nach Wien verkauft. Das Wasserwerk haben sie ja für Nutzwasser gebaut. Da war eine Leitung vom Wasserwerk bis zum Westbahnhof. Das Wasser hat die Bahn gebraucht. Damit haben sie die Lok gespeist. Die Westbahn war ein Dampfbetrieb. Und die haben unheimlich viel Wasser gebraucht. Da hat´s entlang der Bahn riesige Wasserspeicher gegeben. Früher hat das Wasserwerk einer belgischen Gesellschaft gehört. Die hat natürlich so viel zurückgehalten wie möglich, damit sie viel Wasser zum Verkaufen gehabt haben. Sie haben das Wasser so lange zurückgehalten, bis der See ganz voll war. Dann ist er übergegangen und sie haben die Schleusen aufgemacht. Das haben sie mindestens fünfmal gemacht. Die halbe Postsiedlung ist unter Wasser gestanden. Der alte Menschik ist bis zum Hals im Wasser gestanden. Den haben sie mit der Feuerwehr herausgeholt.


Rudolf Dewanger

Die haben die Greisslerei zerstört

Schulalltag

Wie wir in der Systemzeit zur Schule gegangen sind, begann der Unterricht zunächst mit einem Kreuzzeichen und einem Gebet. Wobei auch der Religionsunterricht damals Pflicht war. Wir hatten auch unsere Jugendbewegungen damals. Einerseits der "christlich-deutsche Turnverein", wo die Buben von sechs bis zehn aufgenommen wurden. Meines Erachtens ist aber im Unterricht nie über eine politische Zielsetzung gesprochen worden. 38 war es sofort anders. In der Früh kam der Lehrer herein, wir mussten stramm stehen. Er grüßte "Heil Hitler", wir grüßten mit erhobener Hand zurück "Heil Hitler". Dann wurde je nach Begeisterung des jeweiligen Lehrers der Gegenstand mehr oder weniger gespickt mit politischem Hintergrund vorgetragen. Wenn der Unterricht zu Ende war, wurde auch wieder zackig gegrüßt. Das war so der Schulalltag.


Gertrud Eitel

Mir ist niemand abgegangen

Die Volksabstimmung im April 1938

Die Volksabstimmung im April 1938: das hat mir nur die Mutter gesagt. Ich war damals noch ein Kind. Das war sozusagen ein Zwang. Die Mutter hat erzählt: "Da steht wer und hat gesagt: `Da machen sie ein Kreuzerl´." Der eine Kreis mit dem "Ja" war größer und der andere kleiner. Da war nur der Vater vom Dewanger, der hat mit Nein gestimmt und das wurde dann bekannt gemacht. Die Mama hat gesagt, das war der Einzige. Na, und dann hat man halt gewartet. Mein Gott. Wir sind ins Purkersdorfer Kino gegangen. Wir wurden durch die Wochenschau informiert. Kino: das war eigentlich das einzige Vergnügen. Da waren Heimatfilme, so mit Paul Hörbiger, der Wessely. Das Kino war voll, da waren viele Leute. Aber bitte, ich habe keine SS gesehen, keine SA.


Anna Maria Langer

Das höchste der Gefühle war eine "Blunznsuppe"

Kriegswichtiges Gewerbe

Dann ist der Krieg gekommen. Der Onkel Robert war ein überzeugtes Mitglied der damaligen Partei und hat für die Wehrmacht geschnitten. Dadurch konnte er eine gewisse Hilfe leisten, dass mein Vater nicht einrücken musste. Wir waren ein kriegswichtiges Gewerbe und mein Vater war "u.k." - unabkömmlich. Im Krieg haben wir viele Baracken gebaut. In der Kaserne, aber auch die Dr.-Hild-Gasse hinauf. Da war im Krieg für die Wehrmacht eine richtige Barackensiedlung. Damals haben sie auch - weil ein gewisser Druck war und nicht mehr so viele Leute waren - in der Nacht geschnitten. Eines Tages ist der Onkel gekommen und hat gemeint, er braucht dies und jenes. Und mein Vater hat gesagt, das macht er nicht mehr. So sind sie ins Streiten gekommen. Eines Tages ist es nicht mehr gegangen und ab 1944 haben sie dann alles eingezogen.


Leopoldine Van Muysen

Warum haben sie gerade mich weggegeben?

Kriegsgefangene angefordert

Während des Krieges waren alle Arbeiter eingerückt. Ich selbst fuhr mit dem 6-Tonner LKW, weil keine Leute mehr da waren. Ein Bruder vom Inhaber der Zimmerei Wanas, der Robert - wir nannten ihn den Buchenkönig - sagte zu meinen Eltern: "Ich brauche Arbeiter. Ihr kommt doch auch nicht mehr zurecht. Fordern wir gemeinsam 20 Kriegsgefangene an." Zehn für ihn und zehn für uns. Das war 1941. Daraufhin errichteten wir in Deutschwald hinten ein Lager, indem wir das alte Gasthaus Haas gemeinsam renovierten. Dort wurden die Kriegsgefangenen untergebracht. Sie bekamen einen Lageraufseher und wurden von uns versorgt.


Hilda Novak

Meinen Bruder hat der Hitler vertilgt - mit Injektionen

Mein zweiter Bruder: taubstumm Im Sacre Coeur umgebracht

Mit 17 Jahren ist er ins Sacre Coeur überstellt worden. Den hat sozusagen der Hitler vertilgt - mit Injektionen. Ich war zur Weihnachtsfeier noch im Sacre Coeur oben, da hat das Kind noch gelebt. Ich habe bei jedem Besuch von der Gemeinde einen Schein gebraucht, dass ich keine Krankheit habe, um nicht die Kinder mit irgendetwas anzustecken. Was eh ein Blödsinn war, weil die haben keine ansteckende Krankheit gebraucht. Die haben sie so schon massakriert. Und nach zwei Tagen haben wir den Brief bekommen, dass er gestorben ist. Den Vater haben sie die Leiche geschickt in einer Zuckerkiste, ohne ein Hemd, ohne eine Hose, nichts angezogen. So zusammengerollt ist er drinnen gesessen. Mein Vater hat immer das Gewand kaufen müssen. Ein Drittel hat der Vater bezahlt, ein Drittel das Land, ein Drittel die Krankenkasse. Und dann legen sie ihn in eine Kiste, nackt. Er war voller blauer Flecken, von den Injektionen, die er bekommen hat, nicht gewaschen, voller Blut, Schaum vorm Gesicht, alles eingetrocknet.


Hermine Popenberger

Mein Leben sind die Bücher

Die schlechte Zeit

Dann ist die schlechte Zeit gekommen. "Nehme jede Arbeit an. Egal welche. Bin Akademiker." Ich habe dann einen Beruf gelernt. Mein Beruf als Stickerin war nicht kriegswichtig. Da haben sie mich vermittelt in eine Munitionsfabrik. Und das ist mir aber absolut nicht gelegen. Also da habe ich wirklich krank gespielt. Und da bin ich dann weg und hätte können Straßen bauen gehen, oder zur Bahn, oder zur Flak, zur Beobachtung, als Flugabwehrhelferin. Mein Vater hat gesagt: "Nein, dort gehst du nicht hin, weil da kommst du auf die schiefe Bahn. Und zum Straßenbau gehst du auch nicht."


Kurt Schlintner

Der hat mich im Kugelhagel zurückgebracht

Ein Wiener "Peitscherlbua"

Gerettet hat mich ein Wiener "Peitscherlbua", einer von der Wiener Zuhälter-Partie. Der hat mich aufgenommen, hat mich im Kugelhagel der russischen Infanteriegeschosse zurückgebracht. Hat mir sein letztes Stückerl Brot gegeben. Hat mich aus seiner Feldflasche trinken lassen. Es ist mir geblieben, dass ich seit der Zeit diese Menschen mit einem anderen Auge sehe. Dem habe ich mein Leben verdankt. Ich bin an Ort und Stelle operiert worden. Die Russen sind immer weiter vorgerückt. Das Lazarett musste fluchtartig geräumt werden. Ich wäre unter denen gewesen, die den Russen überlassen worden wären. Ich war an beiden Beinen geschient und hatte am linken Arm einen Streckverband. Nur den rechten Arm konnte ich bewegen. So habe ich mir zwei Krücken besorgt und habe mich bis zum Zug vorgearbeitet.


Marianne Weiss

Mein Mann hat mich gekündigt - ohne mein Wissen

Ich hab mich die Stiege runtergehaut

Ich bin hinaufgegangen und habe uns einen Tee gemacht. Ich komme mit der Kanne rein und auf einmal geht´s tschingbumm, tschingbumm und die Russen waren schon da. So Mongolenrussen. Die haben alles aufgebrochen. Mir ist das Herz bis oben gestanden. Wir waren drei Frauen: meine Mutter, ich und ein Kindermadl. Wir sind gleich in den Boden hinauf, in dem die Lehrbuben geschlafen haben. Mein Mann hat sich mit den Kindern befasst. Zwei Russen sind uns da oben rauf nachgegangen. Ich habe ein Kopftuch angehabt und wir haben uns ganz verschmiert. Wir waren angezogen wie die Russen selber. Der Russe gibt mir das Kopftuch runter. Er fragt mich: "Herr gut? Herr gut?" Ich sage: "Herr gut, da ist er" und hau mich die Stiege hinunter. Das ganze Knie habe ich zerschunden gehabt. Die Russen haben dann bei uns in der Wohnung gehaust. Sie haben uns einiges eingehaut. Sonst haben sie uns Gott sei Dank nichts gemacht, muss ich ganz ehrlich sagen. In unserer Familie war Gott sei Dank nichts.


Hans Wohlmuth

Wir waren richtig begeistert

Das Ende des Reiches nicht ertragen

Die, die früher noch an das Reich geglaubt haben, die konnten das Desaster nicht vertragen. Jetzt war natürlich die Panik da. Hauptsächlich vom Dorfinger-Haus. Da haben sich alle Frauen die Adern aufgeschnitten. Der Barker, der Tierarzt, Nazi, ein Monat sogar Bürgermeister, bevor wir nach Wien gekommen sind, hochintelligent, anständig, da gibt´s nichts zu sagen, hat sich nie betätigt, politisch. Hat sich erschossen. Oder der Felzmann, der Doktor. Dann die Kröcker. Sie war die Ärztin, er war der evangelische Pastor. Aus Sachsen. Als die Mongolen da waren, waren die Vergewaltigungen. Sie hat das Leid mitgemacht und hat das nicht verkraften können. Hat sie alle Gschrapen mit Blausäure vergiftet und sich am Schluss aufgehängt, weil sie nichts mehr gehabt hat. Der Hessle-Pfarrer hat sie dann eingesegnet und begraben. Das war der Anfang der Ökumene in Purkersdorf. Er hat seinerzeit ein Anerkennungsschreiben von den Evangelischen bekommen. Der Hessle-Pfarrer hat das ganze Archiv der Evangelischen vor den Russen sichergestellt.


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Letzte Änderung: 2004-05-26 - Stichwort - Sitemap