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Wienerwaldenquete - Beitrag Baum


Wienerwald-Enquete Kurzfassung des Beitrags auf der Wienerwaldenquete 21. 6. 2002
Josef Baum, Purkersdorf, Regionalökonom, bis 1996 am Österreichischen Institut für Raumplanung tätig

Der Wienerwald als Region - auf dem Weg in die Nachhaltigkeit

  1. Die globale neoliberale Politik führt durch die Entfesselung der kapitalistischen Triebkräfte auch zu einer beschleunigten Entwicklung der großen Agglomerationen. In unseren Breiten realisiert sich das in der Form einer verstärkten Suburbanisierung, d. h., der Verlagerung von Siedlungen, Märkten usw. ins Stadtumland.

  2. Der Wienerwald war auch beim Agglomerationssprung Wiens in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts substantiell gefährdet. In solchen Zeiten können aber auch schützende Gegenkräften gestärkt werden.

  3. Die Entwicklungsalternative für die Region ist eine das sozialökologische Konzept der Nachhaltigkeit, das leider in Regierungsbeteuerungen zu einer Worthülse verkommen ist und trotz Konzepten nicht nur nicht umgesetzt wird, sondern real geht es in die Richtung. Der konkrete Pfad einer Alternative geht auch über "regionale Inseln der Nachhaltigkeit", die zwar noch nirgends wirklich existieren, aber als motivierendes Ziel durchaus real sind.

  4. Ein entscheidender Punkt bei der nachhaltigen Regionalentwicklung ist die radikale Änderung in der Energieverwertung, die sich insbesondere in regenerierbaren Energiequellen, durch Umbau Richtung Wärmedämmung und durch ein anderes Verkehrssystem manifestiert.

  5. Diese Entwicklung ist nur durch Mitwirkung eines großen Teils der Bevölkerung möglich. Das Bewusstsein für eigenes Handeln ist aber noch unterentwickelt, Änderungen wird es vor allem auch durch inhaltliche Auseinandersetzungen mit alten Ideologien und den ihnen verbundenen gesellschaftlichen Kräften geben.

  6. In der Wienerwaldregion gibt es nicht nur österreichweit betrachtet durch die Suburbaniserung maximale Bevölkerungszuwächse, sondern für europäische Verhältnisse eine sehr rasche Änderung der Bevölkerung(struktur) (diese ist etwa für die USA typisch). Vor allem die soziale Schichtung ändert sich drastisch ("Gentrification", simple Geister könnten das auch mit "Umvolkung" unpassenderweise umschreiben). Vor allem die Entwicklung der Bodenpreise führt dazu, dass tendenziell Wohlhabendere in den Wienerwald kommen und weniger Wohlhabendere wegziehen. Dem gegenzusteuern ist unter den gegebenen Umständen nicht einfach.

    Positiv ist, dass vor allem Jüngere und allgemein Offenere und überdurchschnittlich umweltbewußtere Leute zuziehen. Negativ ist dabei, da der lokale Bezug und die Identität im Vergleich wesentlich geringer ausgeprägt ist als in anderen Regionen. Es besteht ein merkwürdiger Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach grüner Umgebung (vor allem für die Kinder) und weitgehender Unkenntnis sowohl der natürlichen Gegebenheiten und natürlich ihrer Entwicklung.

  7. Was seit Jahrzehnten und auch jetzt weiter vor sich geht, ist: klassische Boden-(= Kapital)verwertung. Einige wenige haben ohne Leistung Millionengewinne gemacht und die Spekulationen gehen weiter. - Selbst der Purkersdorfer Bürgermeister, der sich noch vor zwei Jahren durch die Einleitung eines Volksbegehrens gegen den Ausverkauf auch des Wienerwaldes zu profilieren suchte, plant die kommunale Finanzmisere durch Grundstücksspekulation zu beheben.

  8. In den 80er-Jahren formierte sich gegen damalige Entwicklungsauswüchse die Wienerwaldkonferenz als flexibles Forum von aktiven BürgerInnen, Wissenschaftlern und GemeindevertreterInnen. Das Ergebnis war einerseits die Wienerwalddeklaration, die jedoch unverbindlich blieb, andererseits doch gewisse negative Entwicklungen korrigieren konnte.- Parallel dazu entwickelte sich das alternative "Netzwerk Wienerwald"- Die Verkaufspläne der Bundesforste haben die in den letzten zehn Jahren eher schlummernde Bewegung wieder aktiviert; Das "Netzwerk Wienerwald" als Aktionsforum jetzt integriert mit der Wienerwaldkonferenz als eingeführte offiziellen Verein entwickelte seit einem Jahr eine Dynamik, die vor einem Jahr noch kaum absehbar war.- Durch die bekannte positive Grundstimmung der Bevölkerung und sicher auch motiviert durch Basisaktivitäten kündigen dann hohe Politiker deutliche Schritte in die richtige Richtung an. Die Basisbewegung muß weitergehen, damit auch hohe Politiker nicht entmutigt werden. Es liegt noch ein langer Weg vor uns.

  9. Voraussetzung für jegliche demokratische Entscheidung sowie für Bürgerbeteiligung ist eine echte und ausgewogene Information. Auf dieser Basis wird die Bevölkerung z. B. in laufenden BürgerInnenversammlungen - und nicht in "Bürgermeisterversammlungen" - Motor der grundlegenden Umgestaltung.

  10. Wesentliche sozialökologische Kriterien an Konzepten, die derzeit ausgearbeitet werden, sind:
    • Drastische Verstärkung der Naturschutzinstrumente und ihrer Verbindlichkeit
    • Konkrete operationalisierte und abrechenbare Maßnahmen im Energie- und Verkehrsbereich
    • Schaffung neuer institutioneller Strukturen mit klaren Kompetenzen (Biosphären- oder Nationalparkverwaltung)
    • Schaffung neuer regionaler Strukturen zur Stärkung der Demokratie und Identität
    • Umstellung finanzieller Förderungen auf Unterstützung sozialökologisch wichtiger Maßnahmen statt Gießkannenprinzip (z. B. bei der Wohnbauförderung)

  11. Auf dem langen Weg zu einer Nachhaltigkeit wird es auch im Wienerwald noch manche schwierige Kurven und Wendungen geben. Doch noch nie war das Potenzial durch die Menschen und auch durch die konkreten finanziellen Möglichkeiten so groß wie jetzt, tatsächlich eine sozialökologische Alternative zu entwickeln.

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